Ach Afghanistan: Erinnerung an einen kurzen Besuch

In diesen Tagen reden und schreiben alle über Afghanistan. Auch ich blicke mit Sorge auf das Land. Es liegt mir am Herzen, weil ich schon einmal da war und weil ich diese Region – auch die Nachbarländer – immer schon interessant fand und immer noch finde. Über fünf Tage in Kundus.

Es war ein Kampf, bis ich im Juni 2006 nach Afghanistan reisen durfte. Ein Kampf mit meiner Chefredaktion. Ich arbeite in Eutin, einer Stadt, in der es Festspiele gibt und eine Kaserne mit einem Aufklärungsbataillon, das viele Einsätze in Afghanistan absolviert hat. Da das Bataillon gut eingebunden ist in die Stadt und damals einen Kommandeur hatte, der viele Kontakte pflegte, machte sich 2006 eine Abordnung der Festspiele auf den Weg ins Feldlager Kundus.

Es reisten: der Intendant der Festspiele, der Bürgervorsteher der Stadt, zwei Sängerinnen, ein Sänger, eine Pianistin, ein Klavier und ich. Dafür musste ich Urlaub nehmen, eine offizielle Dienstreise sollte es nicht werden. Was es aber wurde, war ein Abenteuer, das bereits in Deutschland begann.

Sandsturm verzögert die Abreise

Abflug vom Militärflughafen Köln-Wahn. Die Abflughalle war damals nicht mehr als eine große Holzbaracke, darin viele, viele Soldaten und ein paar Zivilisten. Doch bevor es an Bord gehen sollte, kam ein Soldat in die Halle und brüllte mit lauter Stimme: „Alle mal herhören. Der Flug verzögert sich wegen eines Sandsturms in Termez . . .“. Da war ich noch nicht beunruhigt. Aber dann kam: „. . . um 24 Stunden.“ Na klasse.

Den Tag haben wir im verregneten Köln, die Nacht in einer Kaserne verbracht. Am nächsten Morgen startete der Bundeswehr-Airbus dann pünktlich nach Termes. Dort, in Usbekistan, unterhielt die Bundeswehr eine Drehscheibe nach Afghanistan. Dort landeten die großen Maschinen aus Deutschland, und dann ging es mit Transportflugzeugen oder Hubschraubern weiter nach Afghanistan. Nach unserer Ankunft Ausgabe von kratzigen Decken, dann ein paar Stunden schlafen auf Feldbetten, die Frauen im Ladys Tent, also im Damenzelt, in dem aber etliche Kerle schnarchten. Dann ging es früh, ich glaube, es war 5 oder 6 Uhr, weiter rüber nach Kundus. Mit einer Transall.

Ausstattung mit schwerer Weste

Landung in Kundus etwa eine Stunde später. Damit begann das Abenteuer Afghanistan, oder das Abenteuer Militär, wie man’s nimmt. Der Presseoffizier empfing mich am Flughafen. Ich bekam einen Stahlhelm und eine Splitterschutzweste überreicht. Die Weste wiegt, wenn ich mich richtig erinnere, 17 Kilogramm. Durchaus gerade noch erträglich, herrschte doch gerade eine Kältewelle in Kundus, weshalb es nur 38 Grad heiß war. Endlich mal warm werden nach dem verregneten Köln mit seinen elf Grad.

Afghanistan im Juni 2006: Bei 38 Grad mit Stahlhelm und Splitterschutzweste.
Afghanistan im Juni 2006: Bei 38 Grad mit Stahlhelm und Splitterschutzweste.

Vom Flughafen aus waren es sechs Kilometer bis ins Camp. Die Straße ist gut ausgebaut. Wie ich erfuhr, waren das die Chinesen. Die Grenze nach China ist nicht weit, und offenbar, so wurde es mir gesagt, sollten mit dem Straßenbau schon mal geopolitische Pflöcke eingeschlagen werden. Bei vielen weiteren Fahrten in der Umgebung von Kundus habe ich ganz andere Straßen kennengelernt: voller Schlaglöcher. Die sieht man nicht, wenn man hinten im „Wolf“, dem Bundeswehr-Jeep, sitzt. Und so lernte mein Rücken, der Splitterschutzweste dankbar zu sein. Und mein Kopf dem Stahlhelm. Wie oft bin ich auf meiner Bank hochgehüpft und dabei gegen die Überrollbügel geknallt.

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Am River Kundus (ohne Hinsehen aus der Hüfte fotografiert).

2006 war die Lage in Afghanistan recht entspannt. Es gab noch keine größeren Anschläge gegen die Bundeswehr, noch keine toten deutschen Soldaten. Deshalb konnte ich viel mit den Männern unterwegs sein, sie auf ihren Patrouillenfahrten begleiten. Ich habe natürlich darüber berichtet. Hier ein Auszug aus einem meiner vielen Texte, die auf und nach dieser Reise entstanden.

Warum ein „Staubtuch“ wichtig ist

Die Soldaten gehen Tag und Nacht auf Patrouille, fahren im Konvoi von mindestens vier Jeeps vom Typ „Wolf“ durchs Land, seit Erhöhung des sogenannten „Dress Codes“ stets geschützt von Splitterschutzweste und Stahlhelm. Bei derzeit 40 Grad im Schatten kein reines Vergnügen. Genauso wenig wie der allgegenwärtige Staub, der nicht nur in Mund und Rachen dringt, sondern mitunter Montezumas Rache bringt, gibt es doch rundherum keine Abwasserkanäle und Kläranlagen. Da wirbelt mehr als nur Staub durch die Luft. Vor Mund und Nase gebundene Tücher sollen davor schützen. Hinzu kommen katastrophale Straßenverhältnisse. Ein technisches Detail beschreibt sie am besten: Alle 14 Tage müssen die Stoßdämpfer der Fahrzeuge ausgewechselt werden.

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Nahe Kundus lag nochKriegsschrott der Sowjetunion herum. Ausländische Minenräumer waren dort unterwegs.

Es war die Zeit, als der Kriegseinsatz noch als humanitärer Einsatz verkauft wurde. Tatsächlich kümmerten sich die Soldaten um Brunnen und Schulen. Das haben sie mir und den anderen der Gruppe auch stolz vorgeführt. Noch einmal aus meinem Bericht:

Die Aufgabe der Soldaten ist es, Sicherheit zu schaffen für eine Stärkung der demokratisch legitimierten staatlichen Gewalt im Land. Sie fahren aber nicht nur martialisch geschützt und bewaffnet durchs Land. Sie kümmern sich auch um die Infrastruktur: Brücken, Brunnen, Schulen. Eine Lehranstalt in Talguzar nahe Kundus ist zurzeit die Baustelle für die Soldaten. Mit Spenden von zu Hause, insgesamt 3000 Euro, sind nicht nur die nur noch aus Stofffetzen bestehenden Schulzelte durch neue ersetzt worden. Bauingenieur Mohamed S. (Abkürzung aktuell von mir) baut dort unter der Aufsicht der Soldaten und ausgestattet mit einem Werkvertrag auch ein Toilettenhäuschen für die Kinder.

Wie wichtig Schulen sind

Die sind die Zukunft eines demokratischen Afghanistans. Sie lernen lesen und schreiben und sind damit wichtige Vermittler für die demokratischen Botschaften, die die Isaf-Truppen, zu denen die Soldaten gehören, mit der 14-tägig erscheinenden Zeitung „Sadar-e-Asadi“ (Stimme der Freiheit) vermitteln. Das auf Englisch, Paschtu und Dari erscheinende Blatt lesen die Kinder ihren Eltern vor. Und sie lernen damit in der Schule Sprachen.

Das alles war nur möglich, weil es die Ortskräfte gab. Die Menschen, die die Bundeswehr unterstützten und die jetzt in so großer Gefahr schweben. Es waren Dolmetscher – im Bundeswehrsprech Sprachmittler -, aber auch Gärtner für die Grünanlagen im Camp, Reinigungskräfte und viele andere. Wie mag es ihnen jetzt gehen? Kommen sie raus und in Sicherheit? Hat sich Deutschland genug um sie gekümmert.

Angeblich scheitert es an afghanischen Pässen

Gerade hatte ich gemeinsam mit vielen Journalistenkollegen einen Termin mit der Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dort wurde sie natürlich auch nach den Ortskräften gefragt. Ihre Antwort sinngemäß: Wir holen sie raus, aber die können nicht ins Flugzeug, solange die afghanischen Behörden ihnen keinen Pass ausstellen. Dass sich das ändert, daran arbeiten wir. Eine Version, die ich sonst nie gehört habe, aber vielleicht ist das tatsächlich so. Ich weiß es nicht. Jetzt dürfte das mit den Pässen sowieso vorbei sein.

Als die Verteidigungsministerin diese Worte sprach, fiel Kundus an die Taliban. Mittlerweile ist die Hauptstadt Kabul ebenfalls in ihrer Hand. Die Frage nach den Ortskräften wird immer drängender. Wie viele werden ihre Arbeit für die Bundeswehr oder für andere Ausländer mit dem Leben bezahlten müssen? Mir wird bang, wenn ich daran denke, was jetzt in Afghanistan geschieht oder schon geschehen ist.

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Unter Bewachung konnte ich die Innenstadt von Kundus besuchen. Das war später nicht mehr möglich.

Dabei ist es ein so schönes und interessantes Land. Ich habe dort nur freundliche Menschen kennengelernt, aber auch eine ganz andere Welt. Das Festspielensemble aus Deutschland hat im Feldlager Kundus zwei Konzerte gegeben, eines für die Soldaten und eines für einheimische Würdenträger. Es war ein Ereignis der besonderen Art. Deshalb hier noch einmal Auszüge aus meinen Berichten von damals (alle Namen abgekürzt):

Ein Termin nur für Männer

Der Auftritt der deutschen Gäste vor den Einheimischen war einer der besonderen Art, wie ihn sich wohl weder die Künstler noch die Afghanen vorgestellt hatten. Die über 200 Gäste, allesamt wichtige und sich wichtig nehmende Männer, und zwar ausschließlich Männer aus den Provinzen Kundus und Takhar im Norden des Landes, waren ins soeben fertig gestellte Camp der deutschen Truppen eingeladen. Darunter ehemalige Mudschaheddin, Warlords, und immer noch aktive Drogenbosse.

Es war ein Abend, der wie Slapstick begann und mit einem großen Erfolg endete. Gerade wollte der Festspiel-Intendant die Bühne betreten, die Gäste begrüßen, die Sängerinnen sowie die Pianistin vorstellen, als die Mehrzahl der afghanischen Gäste geschlossen den Zuschauerraum verließ. Waren sie durch irgendetwas düpiert worden? Etwa dadurch, dass Frauen auf der Bühne stehen sollten? Mitnichten. Die Herren marschierten auf den nahen Vorplatz, wendeten sich gen Mekka und beteten. Dann strebten sie zurück auf ihre Plätze, und das Konzert konnte beginnen.

Wie eine Sängerin das Eis brach

Den ersten Ton sang eine der Frauen – und sie erntete Gelächter. Das Publikum wirkte amüsiert, aber reserviert. Handys klingelten, man plauderte, der Funke sprang überhaupt nicht über. Der Intendant reagierte prompt, schmiss das Programm um, ließ Oper Oper sein und setzte auf Schmissigeres. Sängerin S., die mit einem mitreißenden komödiantischen Talent gesegnete Chansonette des Ensembles, stieg bei „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ von der Bühne herab, ging durchs Publikum und brach das Eis. Die würdigen Herren waren begeistert. Provinzgouverneur Gh. A. fragte den Kommandeur des Provincial-Reconstruction-Team Kundus, Oberst P., was die Frauen denn kosten würden. Man weiß nicht, ob er es ernst meinte, aber der Oberst fasste es lieber mal als Scherz auf.

Gh. A., nach eigenen Angaben ein „Mudschahed mit einem großen Herzen“, bedankte sich nach dem Konzert für die „Ehre, die deutsche Kultur kennengelernt zu haben“. Der Gouverneur der Provinz Kundus, O., stand seinem Kollegen in nichts nach: „Was ich heute gesehen habe, ist für die Ewigkeit. Ein Zeichen der deutsch-afghanischen Freundschaft.“ Gh. A., ehemals Kommandeur der Nordallianz und rechte Hand des legendären Volkshelden Ahmad Schah Massud, sah durch das Konzert gar seine Herzprobleme gebessert und bekannte: „Ich habe mich von Kopf bis Fuß in die Sängerin verliebt.“

Besorgte Blicke gen Afghanistan

Ich war nur ein paar Tage in Kundus, dann ging es zurück nach Deutschland. Es waren mit die eindrucksvollsten Tage, die ich in meinem langen Reporterdasein erleben durfte. Die Region hat mich schon immer interessiert, seitdem ich sie selbst besucht habe, liegt sie mir erst recht am Herzen. Umso schockierter schaue ich jetzt auf das, was gerade in Afghanistan passiert. Es ist so schrecklich.

Dieses wunderbare Land – so viel habe ich davon leider nicht gesehen – und seine Menschen haben das nicht verdient. Annegret Kramp-Karrenbauer hat gesagt, es sei ja mittlerweile in den 20 Jahren Bundeswehreinsatz eine neue Generation herangewachsen, eine andere. Das mag eine kleine Hoffnung sein. Danach sieht es aber gar nicht aus. Und gegen rohe Gewalt kann am Ende niemand etwas tun. Umso wichtiger ist es jetzt, dass Deutschland seiner humanitären Verpflichtung folgt und alle Ortskräfte herausholt.

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