Gendern: Das Elend mit dem Partizip
Im Versuch, Menschengruppen geschlechtsneutral zu benennen, ist das substantivierte Partizip Präsenz eine immer öfter genutzte Möglichkeit. Doch was dabei herauskommt, ist teils unsinnig, teils unverständlich, teils widerspricht es jedem Sprachgefühl. Ein paar Beispiele.
Dass aus Studenten inzwischen weit verbreitet die Studierenden geworden sind, daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Auch wenn sie abends in der Kneipe eben keine Studierenden sind, sondern Studenten, aber bitte. Mittlerweile laufen die Forschenden den Studierenden fast schon den Rang ab, denn so werden mittlerweile sehr häufig die Menschen bezeichnet, die bisher Forscher hießen. Das lässt sich alles noch hinnehmen. Aber inzwischen werden die neu gebildeten substantivierten Partizip-Präsenz-Formen ziemlich abstrus.
Bäckereifachverkaufende
Morgens beim Bäcker, habe ich gelernt, reichen mir nicht die Verkäuferinnen die Brötchen über den Tresen, sondern die Bäckereifachverkaufenden. Verkaufen die das Bäckereifach? Die Partizip-Konstruktion widerspricht nicht nur dem Sprachgefühl, sie ist oft sachlich falsch. Das zeigt dieses Beispiel, das lange zu meinem Favoriten zählte. Inzwischen sind noch mehr abstruse Beispiele dazu gekommen.
Gehweggehende
Die Polizei Berlin hat vor kurzem das schöne Wort Gehweggehende kreiert. Ein Wort, das geschrieben erstmal völlig unverständlich erscheint. Es verdient Kopplungsstriche. Aber sind das nun Geh-weg-gehende – also Weggehende, Hinfortgehende – oder auf dem Gehweg Gehende? Fußgänger also. Wobei Zufußgehende eine ebenso blöde Partizip-Konstruktion ist. Für den Tweet gab es übrigens ordentlich Gegenwind, einfach mal auf die Antworten klicken.
Interessenvertretenen
Noch ein schönes Beispiel für unsinnige Partizip-Konstruktionen gefällig? Gerade las ich von den Interessenvertretenen. Da dreht jedes Rechtschreibprogramm durch. Gemeint sind hier aber nicht etwa Interessenvertreter, sondern die, deren Interessen vertreten werden. Auf den Polizeitweet von oben gab es übrigens eine Reaktion, in der die Polizeivertretenden auf die Schippe genommen werden. Und die Beamten, die unterwegs sind, hießen Streifende.
Passagierende
Der Schweizer Sender SRF hat sich letztens vergendert (hübsche Wortschöpfung). Ich habe das auch gehört und mich sogleich aufgeregt. Es ging um den Flugbetrieb und um Passagierende. Wie bitte? Ich beobachte übrigens, dass Kommentatoren bei solchen vergenderten Texten sehr kreativ sind. In diesem Fall hieß die Reaktion kurz und knapp: Behämmernde.
Pensionende
Redigierfehler oder ernsthaft eine neue Wortschöpfung? Bei der FAZ habe ich jüngst die Pensionenden gefunden. Mittlerweile ist das Wort zumindest im Beitrag in Pensionen geändert worden. Ich traue den Autoren aber durchaus zu, dass sie tatsächlich die Pensionenden gemeint haben.
Einen schönen Beitrag über den Missbrauch des Partizips habe ich bei „Journalismus und Sprache“ gefunden. Er zeigt auch, wie Gendernde – da ist es wieder, das Partizip – sich richtiger und besser ausdrücken können. Sollten sich Mitarbeitende, die mit Sprache arbeiten, mal angucken.
2 Kommentare
Henning Uhle
Hallo Susanne,
ja, es gibt extrem lustige oder eigenwillige Wortschöpfungen. Das seltsamste, was ich dazu las, war die Wortschöpfung „weibliche Gebärende“.
Jetzt stell dir mal vor, das wäre im Englischen auch so. Aus „mother“ würde dann „person who gives birth“. Die Englischsprechenden (Ich kann das auch) würden auf die Barrikadierenden gehen.
Andrea
Hallo, Susanne,
die Seite habe ich mir mal gleich gespeichert.
Was für Blüten soll eigentlich dieses Neusprech noch treiben?
Da steigt man ja nicht mal mehr durch, wenn man sich selbst viel und
regelmäßig mit Texten auseinandersetzt.
Deutsch ist auch ohne all das schon schwer genug, noch schwerer darf es
einem einfach nicht gemacht werden.
Der „Backladen“ in einem der Texte hat mich besonders amüsiert.