Malta – Mittelmeer very british

Joseph Spiteri ist braungebrannt, hat Lachfältchen und grau-grüne Augen. Mit seinen hellen Augen blickt Joe stolz über die steilen Hänge seiner Farm, in der Hand hält er Orangen. Die für einen Malteser ungewöhnlichen Augen von Joe machen die Frauen verrückt. Die Orangen begeisterten im Barock die europäischen Fürstenhäuser. Doch sie sind mehr als nur eine Obstsorte. In der runden, leuchtenden Frucht kristallisiert sich die Geschichte von Joes Heimat: Malta, eine aufregende Mischung aus arabischen, phönizischen, römischen, normannischen, spanischen, christlichen und britischen Einflüssen – ein Stück Europa auf gerade mal 316 Quadratmetern Land, das ist eine Fläche, kleiner als Bremen.

Orangenfarmer Joseph Spiteri
Orangenfarmer Joseph Spiteri

950 nach Christi kamen die Orangen mit den Arabern nach Malta. Die Orangen blieben, die Araber machten den nächsten Eroberern Platz, und dann gaben sich alle europäischen Groß- und Kleinmächte auf Malta die Klinke in die Hand. Heute sind es 1,4 Millionen Touristen, die die Eilande ansteuern. Badeurlauber, Taucher und Bildungsurlauber.
Vor allem die Bildungsurlauber kommen auf ihre Kosten. Malta atmet auf Schritt und Tritt 6000 Jahre menschlicher Geschichte. Und die kommt überall in gigantischer Form daher. Sie hat Spuren hinterlassen in Form riesiger Steinzeittempel, dicker Mauern, hoher Festungen und Zitadellen, martialischer Bauwerke. Malta entlockt dem Besucher staunende Ahhs und Ohhs in Serie.

6000 Jahre alt: Der Ġgantija-Tempel auf Malta
6000 Jahre alt: Der Ġgantija-Tempel auf Malta
Die arabisch geprägte frühere Hauptstadt Mdina
Die arabisch geprägte frühere Hauptstadt Mdina

„Oh je“ dürften die Angreifer über die Jahrhunderte gedacht haben. Und die waren Legion. Eng verbunden ist die Geschichte von Malta mit allen, die sich im Mittelmeer militärisch tummelten – Römer, Karthager, Byzantiner, Araber, Normannen, diverse spanische Clans, der Malteser-Orden, die Franzosen, die Engländer. Spuren haben sie alle hinterlassen, doch die deutlichsten gehen auf die Johanniter zurück, schlicht „der Orden“ genannt. Ihm verdankt Malta seine unvergleichliche, überragende Gestalt. Und überragend ist wörtlich zu nehmen. Man muss nur den Kopf in den Nacken legen und schauen, schauen, schauen.
Der Besucher beginnt seine Entdeckungstour in der kleinsten Hauptstädte der Welt. Valetta zählt gerade mal 8000 Einwohner und nennt einige der steilsten Straßen des Planeten sein eigen. Über ihnen schweben wie Waben von Wespennestern die hölzernen, grün, rot, blau angestrichenen Balkone, die die Architektur auf Malta prägen. Von hier aus betrachteten die Frauen des Hauses unbemerkt das Treiben auf der Straße. Eine Erbe der arabischen Zeit. Aber vorsichtig: Wer beständig hochschaut, sollte dabei stehen bleiben, denn am Boden geht manch steile Straße in flache Stufen über: Sie konnten von den Pferden der Ritter besser erklommen werden.

Maltas typische Holzbalkone.
Maltas typische Holzbalkone.

Vor allem aber steht der Besucher staunend vor Mauern. Riesigen Bollwerken aus honiggelbem Kalkstein. Aufgeschichtet von den Johanniter-Rittern und Ausdruck des maltesischen Traumas. Doch zuvor kam die große Wende in der Geschichte der bis dahin abseits des Weltgeschehens dahinträumenden Inseln: „1530 war das wichtigste Datum, alles änderte sich“, sagt Dominic Micaleff, Abteilungsleiter „Kultur und Geschichte“ beim maltesischen Fremdenverkehrsverband und ein Malteser voller Stolz auf die Geschichte seines Mini-Staates. 1530 übergab der spanische König dem heimatlos gewordenen Johanniterorden die Eilande. Sie bauten sie sofort zu ihrem Machtzentrum aus. Und weil die Ritter aus allen Teilen Europas kamen, entstand ein Europa im Kleinen. „Malta war Europa, bevor es Europa gab. Das war ein urbaner Platz hier“, sagt Micaleff.

Die riesigen Festungsmauern von Valetta werden zurzeit restauriert.
Die riesigen Festungsmauern von Valetta werden zurzeit restauriert.

Wenig später folgte das Drama, das bis heute im Bewusstsein der Menschen wach ist und das Bild der Insel grundlegend verändert: die „Great Siege“, die große Belagerung. 1565 stürmte das osmanische Heer gegen Malta an – nach vier Monaten hatten die Ritter die Invasoren zurückgeschlagen und Europa vor dem weiteren Vormarsch der Osmanen bewahrt. Danach gingen die Ritter sofort daran, die Inseln zu Bollwerken auszubauen.
Und so präsentieren sich nun Valetta, die damals auf dem Reißbrett entworfene neue Hauptstadt, und die sogenannten drei Städte auf der anderen Seite des maltesischen Zentralhafens als Festungsanlagen, wie sie beeindruckender nicht sein können. Man glaubt, noch heute das Klirren der Schwerter, das Rasseln der Kettenhemden zu hören und stellt sich vor, wie Angreifer gegen diese Mauern anrannten. Steil fallen sie zum Meer ab. Dick wie ein Lastwagen lang sind die Durchfahrten durch die drei Tore in die historische Ritterstadt Vittoriosa. Zwischen den hochaufragenden Häusern winden sich malerische Gässchen den Hügel hinauf. Von einem Aussichtspunkt im benachbarten Senglea geht der Blick über den Großen Hafen hinüber nach Valetta, auf die Upper Baracca Gardens, wo jeden Mittag um 12 Uhr nach alter englischer Sitte aus einer Reihe von Kanonen Salut über den Hafen geschossen wird.

Valetta: Die Saluting Battery gegenüber den Three Cities
Valetta: Die Saluting Battery gegenüber den Three Cities

Und mittendrin zwischen den Mauern eben jener Hafen. „Der schönste Hafen der Welt“, schwärmt Micaleff. Ein natürliches Felsenbecken, aus dem die Festungsanlagen an allen Seiten gen Himmel wachsen. „Mit einem Schiff hier einzulaufen, ist beeindruckend, die Stadt wächst aus dem Meer.“ Die meisten Deutschen kommen so nach Malta, bei den Gästen, die per Flugzeug kommen, liegen die Briten mit 500 000 Besuchern pro Jahr an der Spitze, gefolgt von den Italienern und den Deutschen.
Dass die Briten heute zu den eifrigsten Malta-Besuchern gehören, hat wieder mit der Geschichte zu tun. Napoleon löste die Ritter ab, Lord Nelson auf Bitten der Malteser Napoleon. Die Britten blieben 164 Jahre und gaben dem Inselstaat ebenfalls sein Gepräge. Dass die britische Königin Elisabeth ihre ersten Ehejahre mit Prinz Philip auf Malta verlebte, entzückt nicht nur britische Royalisten noch heute bei einem Besuch der Insel. In der ganz im Kolonialstil eingerichteten Bar des Art-Deco-Hotels Phoenicia sitzt der Gast unter Schwarzweiß-Fotos der jungen Majestäten und darf sich ein bisschen wie sie fühlen.

Die very britishe Bar im Hotel Phoenicia.
Die very britishe Bar im Hotel Phoenicia.

Malta präsentiert sich heute als Mischung aus Ritterromantik und manieristischem Dekorationswahn, britischer Kolonialherrlichkeit und katholischer Frömmigkeit, Hochkultur und mediterranem Lebensgefühl. Wem nach all den Kirchen und Festungen, nach Rittergeschichte und Kolonialgefühl mal nach schlichter Lebensart ist, der sollte sich in ein typisches maltesisches Restaurant setzen, das knusprige Brot der Insel mit Oliven, Olivenöl, Kapern – eine maltesische Spezialität – und allerlei leckeren Pasten genießen. Und wer nach Gozo fährt, darf bei Joe, dem helläugigen Herrn der Farm Ta’Mena, 1000 Jahr maltesische Geschichte kosten – konzentriert in einer Orange.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert