Fru Öttenpötter vertellt: #Dorfkinder, deppert oder doch ganz plietsch?

Die mediale Sau, die heute durchs Dorf getrieben wird, kommt unter dem Hashtag „Dorfkinder“ daher. Auslöser ist eine Imagekampagne, die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) verbreitet hat. Dafür hat sie viel Kritik geerntet. Dabei wollte sie doch nur, so das Bundeslandwirtsschaftsministerium, die Dörfer ins Gespräch bringen.

Damit hat es den Dörfern, ihren Bewohnern und deren Kindern eine Bärendienst erwiesen. Was wurde nicht alles über den Dorfkindern ausgekübelt: dass sie mit 14 schon besoffen an der Bushaltestelle herumhängen, dass sie sowieso alle rechts seien und Doitschland den Doitschen grölen, dass sie alle ausgrenzen, die anders sind. Andere drückten ihr Bedauern mit den armen Dorfkindern aus, die weder über schnelles Internet noch über Busverbindungen verfügen, die diesen Namen verdienen. Die doof bleiben müssen, weil es keine ordentlichen Schulen und annehmbarer Nähe gibt und die keine weiteren Freizeitmöglichkeiten haben als Schützenverein und Feuerwehr.

Das Dorf ist kein Klischee mehr

Mal ganz abgesehen davon, dass das größte Schützenfest der Welt in Hannover (532 000 Einwohner) stattfindet, ist es wie mit allen Zuschreibungen dieser Art. Vieles stimmt, aber nicht alles, und schon gar nicht darf man alle über einen Kamm scheren. Das Dorf ist längst nicht mehr das Dorf, wie wir es uns in den 1950er Jahren vorgestellt haben, und nicht alle Dörfer liegen in Gegenden, in denen die AfD bei den Wahlen auftrumpft.

Aber das zählt alles nicht. Da wird geholzt, was das Zeug hält. So etwa, in ganz schlecht geschriebenem Deutsch: „Leute die sich als stolze #Dorfkinder bezeichnen sind idR Rassistische, sexistische und homophobe Konservative die ihre -ismen bestenfalls als „Humor“ abtun und „eigentlich gar nicht so sind“ und schlimmstenfalls stolz darauf und eine Gefahr für marginalisierte“ Da kommen alle aus den Löchern, die schon immer mal anderen sagen wollten, was sie für Schweine sind.

Dorfkinder, alles andere als doof

Ich lebe seit 16 Jahren in einem Dorf. Nun, eigentlich eher am Rande eines Dorfes, in einer sogenannten Splittersiedlung. Zwei Häuser und viel Land drumherum. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, habe lange in Großstädten gelebt und sitze nun hier in der Pampa, in der unsere Tochter aufgewachsen ist. Ein echtes Dorfkind also. Mit Migrationshintergrund. Das noch nie einen Tropfen Alkohol getrunken hat. Das Abitur hat und jetzt studiert. Das nie ein böses Wort über irgendjemanden verlieren würde.

Sie ist damit nicht allein. Denn das Dorf ist längst nicht mehr das Dorf von früher. Erst kamen die B-Plan-Leute, dann die neuen B-Plan-Leute und immer mehr Menschen, die von der Stadt aufs Land zogen. Das Kuh-Dorf wird zunehmend zum Ko-Dorf. Natürlich gibt es immer noch ein paar Bauern hier, aber die sind längst in der Minderheit. Es ist auch richtig, dass hier viel gesoffen und dann mit dem Auto gefahren wird. Dass das Auto eine große Rolle spielt, spielen muss. Ebenfalls richtig, dass viele Dörfer wenig Unterhaltung bieten und obendrein schlechtes Internet. Immerhin, wir haben seit mehr als zwei Jahren Breitband.

Unfaire Pauschalisierungen

Die B-Plan-Leute der ersten und zweiten Generation, also die, die in den Dörfern gebaut haben, haben aber auch ihre Weltläufigkeit, ihre modernen Ideen, ihre gute Ausbildung mitgebracht. All das geben sie an ihre Kinder weiter, die allesamt Dorfkinder sind. Dorfkinder, die Abitur machen, Sport treiben, studieren, erfolgreich sind. Und von denen viele gern auf dem Dorf aufgewachsen sind oder dort leben. Wie ungerecht die #Dorfkinder-Häme ihnen gegenüber ist, macht dieser Tweet klar: „Das schlimmste am Hashtag #Dorfkinder: Die fehlende Solidarität mit Linken, Grünen, weltoffenen, antirassistischen Personen die auf dem Land leben und/oder aufgewachsen sind, und dort „Stellung“ halten.“

Ja, das ist schlimm. Viel schlimmer aber ist, dass die Kampagne von Julia Klöckner dazu benutzt wird, Dorfkinder gegen Stadtkinder, Dorfbewohner gegen Stadtbewohner auszuspielen. Die neue Spaltung verläuft zwischen Stadt und Land. Man kann der Ministerin bescheinigen, dass sie ungeschickt ist, aber ich glaube nicht, dass sie das gewollt hat. Was sie damit aber unterschwellig vermittelt, hat @ennopark in einem lesenswerten Thread aufgeschrieben.

Viel schlimmer ist, was auf Twitter daraufhin losgetreten wurde. Dabei ist es doch, ob Stadtkinder oder Dorfkinder, so wie überall: Jeder Gruppe hat ihre Arschlochquote. Aber jede Gruppe hat auch Menschen wie du und ich. Die sind in der großen Mehrheit.

Niemand verdient es, pauschal bewertet zu werden. Oder wie es ein Twitternutzer schrieb: „#Dorfkinder sind in der Regel erstmal Kinder, die auf dem Dorf aufgewachsen sind. Alle anderen Schlussfolgerungen und Zuweisungen von Eigenschaften darüber hinaus sind beschissen pauschalisierend und stigmatisierend. Herkunft ist eben nicht gleich Überzeugung/Charakter, egal wo“.

Auch Städte sind Dörfer

Wir haben uns jedenfalls auf dem Dorf immer wohl gefühlt. Ich kenne Dörfer mit starken Gemeinschaften, die Geflüchtete unterstützen, die etwas auf die Beine stellen, ohne jemanden auszugrenzen, die ein lebendiges Dorfleben organisieren. Ich kennen Städter, Stadtteilgemeinschaften, die das alles auch tun. Und ich weiß, dass sich jede Großstadt von selbst in Kieze aufteilt, in denen eine Art Dorfleben zelebriert wird. Warum also aufeinander einhacken?

Fru Öttenpötter berichtet hier regelmäßig über das Leben auf dem Lande.

3 Kommentare

  1. Das einzig Gute an diesen Empörungswellen, die sich bei Twitter hochschaukeln, ist, dass die Aufregung sich schon am nächsten Tag in Luft aufgelöst hat. Nun, häufig ist es jedenfalls so. Wir leben aus Überzeugung auf’m Dorf. Ein guter Freund ist vor Jahrzehnten nach Köln gezogen. Er würde vermutlich nie einen Gedanken darauf verschwenden, wieder aufs Dorf zu ziehen. So kann es sein. Es gibt Präferenzen für beides. Andersrum ist es nicht anders. Oder so:

    Viel schlimmer ist, was auf Twitter daraufhin losgetreten wurde. Dabei ist es doch, ob Stadtkinder oder Dorfkinder, so wie überall: Jeder Gruppe hat ihre Arschlochquote. Aber jede Gruppe hat auch Menschen wie du und ich. Die sind in der großen Mehrheit.

    Hat mir gut gefallen.

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