Schöner spalten: Wenn Städter auf Dorfkartoffeln eindreschen

Einsames haus an der Autobahn vor Windrädern

Ich entdecke in meiner Twitter-Timeline immer öfter Tweets, in denen sich (Groß)städter darüber aufregen, dass die Leute auf dem Land mit dem Auto fahren. Das ist zunächst nichts Verwerfliches, es zeugt höchstens von Ahnungslosigkeit. Wenn aber autofahrende Landbewohner als dämliche Dorfkartoffeln bezeichnet werden, geht das zu weit.

Es ist wohlfeil geworden, die Spaltung der Gesellschaft zu beklagen. War es bisher vor allem die zwischen armen und reichen Teilen der Bevölkerung, sehe ich zunehmend eine von einigen eifrig betriebene Spaltung von Stadt und Land. Es ist nicht das erste Mal, dass mir das auffällt. Heute war es ein Tweet von @schmidtlepp, der diesen Eindruck verstärkt. Da ich seit Inkrafttrefen der DSGVO keine Tweets mehr einbette, hier als Zitat seine Aussage:

Ich, Stadtmensch, fahre an guten Tagen 20-30 km mit dem Rad durch die Stadt. Deutsche Dorfkartoffeln: „OhNe AuTo iSt mAn AuF dEm DoRF aUfGeScHmIsSeN.“

Ein Tweet, der 1500 mal mit „gefällt mir“ gekennzeichnet wurde. Aber auch einer, der viel, sehr viel Widerspruch bekam. Unter anderem von mir:

Ich, deutsche Dorfkartoffel, fahre jetzt mit dem Auto ins 12 km entfernte Dorf und bringe Kuchenplatten zurück. Es ist Sonntag und regnet. Kein Bus, Radeln mit Kuchenplatten? Nein danke.

An der Debatte um die Dorfkartoffeln zeigt sich zweierlei. Da ist das Unverständnis, das Städter für das Leben auf dem Land haben. Das mangelnde Einfühlungsvermögen, wie es ist, auf Landstraßen ohne Radwege fahren zu müssen. In manchen Regionen kommen etliche Höhenmeter dazu, die überwunden werden müssen. Der öffentliche Nahverkehr ist rudimentär bis gar nicht vorhanden, schon gar nicht am Wochenenende, in den Schulferien oder abends. Aber wollen wir uns wirklich daran abarbeiten, uns gegenseitig Argumente für oder gegen das Autofahren um die Ohren zu hauen?

Radeln ist keine echte Alternative

Es ist doch ganz klar, dass das Fahrrad nicht überall und nicht für jeden eine Alternative ist. Alte, Kranke, Kinder können nicht alles mit dem Fahrrad bewältigen. Unser Kind hatte einen Schulweg von 16 Kilometern. Welche Eltern lassen ihre Kind diese Strecke morgens im Dunkeln allein mit dem Fahrrad zurücklegen? Und was nützt der Bus, wenn er nicht fährt? Hier bei uns gibt es nur den Schulbus.

Nun könnte man sagen: selber schuld. Warum lebt ihr auf dem Land? Ruhe und Platz genießen für weniger Geld als in der Stadt, aber nicht bereit sein, sich beim Autofahren einzuschränken. Oder aufs Fahrrad umzusteigen. Nach dem Motto: Wenn es nicht möglich ist, Alternativen zum Auto zu nutzen, hättet ihr keine Dorfkartoffeln werden dürfen.

So argumentiert @carloscusanus auf Twitter:

Ich liebe es: Menschen wählen unter der Prämisse täglicher privater PKW-Nutzung ihren Wohnort auf dem Land, machen sich bewusst abhängig vom Auto, und hinterher jammern sie. Und wer ein anderes Lebensmodell wählt, radelnd in der Stadt, ist arrogant.

Was dabei oft vergessen wird: Nicht immer haben Menschen eine Wahl, wo sie leben wollen. Mancher kommt vom Dorf, mancher zieht dorthin, um sich dort das Haus leisten zu können, das er in der Stadt nicht finanzieren könnte. Heerscharen von Krankenschwestern, Polizisten und Facharbeitern wohnen im Umland der großen Städte, weil die Mieten und gar die Immobilienpreise in der Stadt für sie nicht erschwinglich sind. Außerdem tut sich etwas auf dem Land. Das Ko-Dorf kommt.

Landflucht wäre fatal

Zögen wir alle in die Städte, würde sich die Lage am Wohnungsmarkt dort noch einmal verschärfen. Und was machen wir mit den dann verödeten Landstrichen? Bleiben dort nur die Alten zurück und sind dann restlos vom Leben abgehängt? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Landflucht zu besserem ÖPNV und mehr Radwegen führt.

Vor allem aber wünsche ich mir als Landbewohnerin, mit genauso viel Respekt behandelt zu werden wie die Stadtbewohner. Wir sind weder depperte Dorfkartoffeln noch die Blöden, die nicht gut ausgebildet sind und deshalb den Sprung in die gut bezahlten Jobs in den Städten nicht geschafft haben. Wir sind nicht unwillig, an alternativer Mobilität mitzuwirken, wir haben nur keine Alternative zum Auto. Ich sehe auch nicht, wo die in absehbarer Zeit herkommen soll.

Dorfkartoffeln spalten

Angesichts viel Gegenwind auf seinen Tweet hat @schmidtlepp übrigens den Rückzug angetreten. Er habe mit seinem Tweet nur provozieren wollen. Schöner Versuch. Aber leider nicht glaubwürdig. Menschen mit einem anderen Lebensmodell mit einem blöden Ausdruck zu belegen und sie als Dorfkartoffeln zu bezeichnen, ist nicht nett, sondern spaltet. Und Spaltung können wir nicht gebrauchen.

4 Kommentare

    1. Er ist nicht der einzige, der in diese Kerbe haut. Das hat mich zu diesem Text bewogen: Einfach mal sagen, dass das Thema nicht geeignet ist, um zu spalten und auf die Dorfbewohner einzudreschen.

  1. @Susanne, ich finde gut, dass du das Thema ansprichts. Es ist zu wichtig, als das man es einfach als Trollnummer abtun sollte. Es gibt ja auch nicht „nur“, die, die ein paar Kilometer ins nächste Dorf fahren, sondern hunderttausende von Pendlern, die längere Wegstrecken zur Arbeit zurücklegen müssen. An die muss eben gedacht werden und was Lauer tweetet, sorgt auch dafür, dass über diese Diskussion nicht einfach hinweggegangen wird. Abgesehen von diesem Thema ist der Hochmut solcher Leute wie Lauer (es gibt genug andere) unerträglich. Ihm kann nicht entschieden genug widersprochen werden.

    1. Hochmut ist das richtige Wort. Ich empfehle, erst mal nachzudenken, etwas Empathie zu entwickeln und sich dann über ein Thema zu äußern. Aber das ist bei manchen Leuten vielleicht zu viel verlangt.

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