Warum meine Kleidung gerne von gestern sein darf

Ich höre die Klagen der Modegeschäfte im Lockdown. Sie sitzen auf ihrer Winterware und haben die Sommerkollektion bereits geordert. Aber es fehlt ihnen das Geld und der Platz dafür. Wenn die Läden nicht bald wieder öffnen dürfen, sei die Kleidung von dieser Saison nichts mehr wert. Aber warum nicht?

Ja, ich weiß, das ist eine dumme Frage. Weil diese Winterkleidung in weniger als zwölf Monaten total unmodisch ist. Nicht mehr verkäuflich, und wenn doch, dann weiter unter dem Preis, den der Händler haben müsste, um existieren zu können. So ist es allenthalben in Berichten über die Krise im Einzelhandel zu hören. Das mag alles richtig sein, aber es deckt sich überhaupt nicht mit meiner Lebenswelt.

Kleidung ist nicht so schnell unmodern

Nein, ich gehe nicht in Sack und Asche. Ich trage keine Kleidung, die vor 20 Jahren mal modern war. Aber vielleicht vor zehn Jahren. Ich besitze Kleidungsstücke, die sind so alt. Natürlich hängen auch etliche jüngere in meinem Kleiderschrank. Es kommt immer mal wieder etwas weg, dann muss etwas Neues her. Aber Pullover, Röcke oder Blusen, die mir gut gefallen, mir stehen und meinem Stil entsprechen, haben bei mir ein langes Leben. So lange sie nicht abgenutzt sind und passen, trage ich sie weiter.

Da ich aus einer sparsamen Familie komme und ein bisschen geizig bin, sehe ich in liegengebliebener Ware des Winters 2020/2021 sogar eine Chance für mich. Vielleicht kann ich das eine oder andere Schnäppchen machen, wenn die Geschäfte wieder öffnen dürfen. Ich kaufe nämlich sogar Saisonware, die dann ein Jahr liegen bleibt, weil die passende Jahreszeit gerade an ihr Ende kommt. Kurz vor dem Frühling erworbene Winterkleidung wartet bei mir schon mal zehn oder elf Monate auf ihren Einsatz.

Eine Frage des Alters

Ich weiß, dass andere Leute glauben, mit Kleidung von gestern oder vorgestern nicht klarkommen zu können. Es ist wahrscheinlich eine Typ- oder auch eine Altersfrage. Ich bin in einem Alter, in dem ich meinen Stil gefunden habe und mich nicht von kurzfristigen Modetrends aus der Ruhe bringen lasse. Ich weiß, was mir nicht steht und mir nicht gefällt. Das kommt mir nicht in den Kleiderschrank.

Ähnlich wie mit Kleidung geht es mir übrigens auch mit anderen Dingen in meinem Besitz. Ich fahre meine Autos immer, bis sie auseinanderfallen und weit mehr als 200 000 Kilometer auf dem Tacho haben. Ich besitze Möbel, die ich ererbt oder von meinen Eltern übernommen habe. Meinen Schreibtisch haben meine Eltern gekauft, als ich 14 war. Der ist natürlich keine Ikea-Stück, sondern ein richtiges Möbelstück aus massivem Holz. Vermutlich wird er mir noch den Rest meines Lebens so gut dienen, wie er es die vergangenen mehr als 40 Jahre getan hat.

Treue zu den Dingen des Lebens

Ich hänge an den Dingen meines Lebens. Es dauert lange, bis ich mich von etwas trenne. Dann muss es schon wirklich sehr kaputt, abgeschabt oder unansehnlich sein. Das gilt auch für Kleidung. Bei der kommt allerdings noch ein anderer Faktor hinzu: Manchmal läuft die einfach ein oder leiert aus und passt deshalb nicht mehr. Das liegt nicht an der Kleidung, sondern an meiner Figur, die gerade um zehn Kilo schmaler geworden ist. Aber selbst dann kommt nicht alles, was nicht passt, rigoros in die Altkleidersammlung. An manchem Stück hängt mein Herz.

Dass ich gerade ein paar Wochen nicht shoppen gehen konnte, hat mir also nichts ausgemacht. In der Hinsicht bin ich bescheiden. Auch andere Erwachsene, denke ich, können sich angesichts der wegen der Pandemie geschlossenen Geschäfte mal eine Weile zurückhalten, ohne zu jammern. Ganz anders sieht das natürlich in Familien mit Kindern aus. Wenn die Schuhe zu klein oder die Ärmel der Jacke zu kurz geworden sind, muss dringend eingekauft werden. Zurzeit bleibt dann nur der Online-Handel.

Nicht gleich wieder losrennen

Ich wünsche allen Einzelhändlern, dass sie bald wieder öffnen dürfen. Und dass dann für mich ein paar Winterschnäppchen abfallen. Was aber bestimmt nicht passiert: Dass ich sofort losrennen, wenn die Läden öffnen dürfen. Das überlasse ich anderen. Jeder, der nicht gleich losrennt, trennt schließlich dazu bei, dass die Infektionszahlen nicht gleich wieder steigen. Ich kann warten. Zumal shoppen sowieso nicht meine Leidenschaft, sondern eher eine lästige Pflicht ist.

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