Haltung im Journalismus: Wie viel darf’s sein?

Darf ein Journalist, der über die Gefahren des Böllerns schreibt, selbst Böller kaufen? Eine Frage, die kurz vor Silvester bei Twitter auftauchte. Jemand sagte, er habe kein Verständnis für Journalisten, die genau das tun? Sie müssten Haltung zeigen. Aber muss ich als Redakteurin mein Privatleben immer an meinen Artikeln ausrichten und umgekehrt.

Im Zuge der Berichterstattung über die Proteste und Menschenrechtsverletzungen im Iran tauchte immer wieder die Frage auf, ob iranisch-stämmige Journalistinnen oder Journalisten überhaupt neutral und sachlich über diese schrecklichen Vorgänge berichten können. Die ständige – und richtige – Antwort darauf lautete stets: Journalismus ist ein Handwerk. Wir wissen, was wir tun, und lassen uns nicht von unserer eigenen Situation beeinflussen. Genau das ist auch mein Argument: Journalismus ist ein Handwerk.

Haltung dem Artikelinhalt anpassen?

Und Meinungen haben ausschließlich in Kommentaren etwas zu suchen. Mein Gesprächspartner dazu meine aber, das sei haltungslos. Einspruch, Euer Ehren. Wenn jeder Artikel, den ich schreibe, meine Haltung widerspiegeln oder ich meine Haltung je nach Thema den Artikeln anpassen müsste, hätte ich ein großes Problem. Wie soll das gehen? Und kann ich mit Haltung etwa gegenüber meinem Arbeitgeber begründen, warum ich diesen oder jenen Artikel nicht schreiben möchte?

Ich will es mal an einem anderen Beispiel deutlich machen: Windkraft. Sie ist und bleibt umstritten, obwohl kein Weg daran vorbeiführt, unsere Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Das ist meine feste Überzeugung. Ich bin für Windkraft. Dennoch haben meiner Meinung nach auch Windkraftgegner ein Recht darauf, dass ihre Argumente veröffentlicht werden. Nur so ist eine Meinungsbildung möglich. Wie könnte ich es als Journalistin ablehnen, über etwa eine Bürgerinitiative zur Windkraft, zumal wenn sie einen Bürgerentscheid anstrengt, nicht zu berichten, weil meine Haltung eine andere ist?

Recherche gegen Fake News und False Balance

Und was ist mit Fake News und False Balance? Als Journalistin ist es meine Aufgabe, durch Recherche festzustellen, was Fake News sind und False Balance zu vermeiden. Nur dann mache ich meinen Job richtig. Um beim Beispiel der Windkraft zu bleiben: Wenn die Gegner Infraschall ins Feld führen, kann ich das berichten. Aber ist kann und muss auch einen Experten zu Wort kommen lassen, der dieses Argument einordnet und im Zweifel widerlegt. Andere falsche oder täuschende Behauptungen kann ich mit sprachlichen Mitteln zurechtrücken. Etwa in dem ich das -neudeutsche – Wording „Industrieanlagen“ für Windparks und Windräder nicht übernehme, sondern sie als genau als das bezeichne, was sie sind: Windparks oder Windräder.

Haltung ist im Journalismus letztlich Privatsache. Mit einer Ausnahme, die Peter Welchering in einem lesenswerten Essay auf journalistik-online definiert: „Hier wird also nach einer journalistischen Haltung gefragt. Und da haben wir in erster Linie die Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit. Denn ohne eine Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit kann ich journalistisch nicht erfolgreich arbeiten.“

Gradmesser ist die gesellschaftliche Wirklichkeit

Worüber ich berichte, richtet sich nach dem Interesse der Leser und nach den aktuellen Themen, die die Gesellschaft bewegen. Nicht danach, was mir in den Kram passt oder was ich für wichtig halte. Deckt sich das, was ich wichtig finde, mit dem, was die Gesellschaft wichtig findet, ist es umso besser. Und für alles andere, was nur mich interessiert und was ich vielleicht bemerkens- oder berichtenswert finde, habe ich dieses Blog hier. Meine Spielwiese, meine Haltung.

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2 Kommentare

  1. Nun klar: Trennung zwischen Nachricht und Meinung. Wer Profi ist, der kann das. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“ so der Hanns Joachim Friedrichs. und es bleibt ja noch immer der Kommentar.

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