Pyropro,  sinniert

Fotos und die Wirklichkeit

Modell oder echte Lokomotive, das ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen

Bilden Fotos wirklich die Wirklichkeit ab? Oder legt der Fotograf durch die Ausschnittwahl den Rahmen der Aufnahme so fest, dass sie nie der Realität entspricht. Darüber hat sich zwischen mir und anderen Kommentatoren vor wenigen Tagen eine kleine Diskussion auf dem Blog von Calvin Hollywood entsponnen.

Es ging dabei um HDR-Bilder (übrigens ganz großartige). Ich hatte dazu als Kommentar geschrieben:

Abbildung oder Kunst – genau das ist die Kardinalfrage bei solchen Fotos. In Zeiten, in denen jeder mit dem Smartphone alles festhält und mehr oder weniger schlechte Fotos in Massen das Web überschwemmen, stellt sich die Frage, ob ein gutes Foto nur noch eine reine Abbildung der Realität sein muss. Eine Entwicklung, die es schon in der Malerei gab. Mit dem Aufkommen der Fotografie waren die Maler davon befreit, die Realität abzubilden und entwickelten sich weiter bis hin zur völligen Abstraktion.

Die Behauptung, Fotografie bilde meistens die reale Welt ab, trug mir Zustimmung und Widerspruch ein. Pixographix schrieb:

Kann mich da den Worten von Susanne nur anschließen.

Ganz anders Kommentator Michael:

Leider muß ich Susanne widersprechen – Fotos waren noch nie das Abbild der Realität. Alleine durch den Bildausschnitt legt der Fotograf den “Rahmen” der Realität fest (zur Veranschaulichung: http://board.protecus.de/t34209.htm ). Schon lange vor Photoshop wurde an Bildern zu viel verändert, als dass sie noch einen dokumentarischen Nutzen hätten.

Tja, was denn nun? Sind Fotos Bilder der Realität, Lüge oder Kunst? Klare Antwort: Sie können alles sein.

Entscheiden ist, was der Fotograf will, zu welchem Zweck das Bild gemacht wird und was hinterher damit passiert. Überhaupt, der sogenannte Fotograf, also der, der den Auslöser drückt und das Foto hinterher bearbeitet. Von ihm allein hängt es ab, was die Fotos tatsächlich sind.

Ritschratsch-Click-„Fotografen“:

Sie sind mit idiotensicheren Kameras oder Fotohandys unterwegs, verlassen sich auf die Vollautomatik und wollen nur Erinnerungsfotos. Sie bilden ab, was ihnen gefällt, bevorzugt mit Familienmitgliedern darauf, fertigen also sogenannte Japanerfotos (Meine Frau vor dem Eiffelturm, meine Frau vor dem Tower, meine Frau vor . . .). Dabei nehmen sie die Realität auf, wie sie im Augenblick des Fotografierens ist. Nachbearbeitung findet so gut wie nicht statt. Das Ergebnis ist eine Privatdokumentation.

Hobbyfotografen, ambitionierte:

Amateure, die sich tief in die Materie knien und häufig mit großartigen Ergebnissen aufwarten. Sie überlassen nichts dem Zufall, weder beim Fotografieren noch bei der Nachbarbeitung. Sie bilden Realität ab, aber sie schaffen sich die Realität nach ihrem Gusto.

Pressefotografen:

Ihr Ziel ist Realität mit Aussage. Sie manipulieren die Wirklichkeit für ihre Bilder nicht, rücken sie nur ein bisschen zurecht, wenn es sein muss. Da wird schon mal der Hintergrund aufgeräumt, eine störende Lampe beiseite gestellt oder die zu fotografierenden Menschen in ein passenderes Umfeld gebeten. Gar nichts zurechtgerückt wird bei Katastrophen, Konzerten, Sportaufnahmen und vielem mehr. Nachbarbeitung ist bei Pressefotografen – abgesehen von Licht und Kontrast – strickt verboten. Allerallerhöchstens darf mal ein unvorteilhafter Pickel wegretouchiert werden.

Agitprop-Fotografen:

Sie fotografieren für die Propaganda. Das ist meistens nicht auf den ersten Blick zu erkennen, soll es ja auch nicht sein. Da wird arrangiert, was das Zeug hält, und was sich nicht arrangieren lässt, wird durch den richtigen Ausschnitt oder Manipulationen am Rechner, früher in der Dunkelkammer oder mit Schere und Klebstoff, hingedreht, wie es sein soll. Beispiele finden sich unter dem Link in Michaels Kommentar (siehe oben). Das ist Lügen-Fotografie, die hierzulande hoffentlich nicht vorkommt. Aber wissen kann das niemand.

Mode-, Food- und Werbefotografen:

Ich verstehe zu wenig davon, um viel darüber zu sagen. Wenn ich mir die Fotos ansehe, sehe ich aber, dass hier nichts so ist, wie in der Realität. Aber es soll so aussehen.

Künstlerische Fotografen/Digiartisten:

Keine Realität, aber tolle Fotos. Was soll ich mehr dazu sagen, guckt Euch ihre Fotos einfach an. Hier nur eine kleine Auswahl, die gerne noch ergänzt werden darf:

http://www.foto-kunst.info/fotografie-portfolio/

http://dielichtgestalten.de/

http://www.fotocommunity.de/Digiart

Tatsächlich sehe ich in dieser letzten Kategorie eine Entwicklung, wie sie in der bildenden Kunst abgelaufen ist. Natürlich haben auch die Maler in der Zeit vor der Erfindung der Fotografie die Menschen auf ihren Bildern schöner gemacht, als sie in Wirklichkeit waren. Aber es war die ureigenste Aufgabe der Maler, realistische Abbilder der Wirklichkeit herzustellen, wenn auch einer Wirklichkeit, wie sie sich so mancher Auftraggeber gewünscht hat, nicht wie sie der Realität entsprach. Dennoch: Erst als die Fotografie aufkam und die Menschen begannen, sich porträtieren zu lassen, waren die Maler von der Abbildung der Realität entbunden. Die Freiheit brachte die Abstraktion. Die Freiheit der künstlerischen Fotografen brachte ihnen nicht ein neues Medium, sondern die Verfügbarkeit der Fotografie für die breite Masse. Die Sintflut der Fotos hebt die Fotokünstler erst hervor.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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