Tokenism, ageistisch, misogyn – Wenn woke Leute reden

Ich bin eine alte weiße Frau. Ich komme nicht mehr mit. An sich hatte ich immer gedacht, eine einigermaßen umfassende Allgemeinbildung zu haben. Aber seitdem es Leute gibt, die woke sind, verstehe ich vieles nicht mehr. Gerade bin ich etwa über das Wort Tokenism gestolpert.

Erst war es die weiß ich wievielte Welle des Feminismus, jetzt ist es die sogenannte Identitätspolitik, bei der mit Wörtern um sich geworfen wird, die nur oder zunächst nur Eingeweihten verständlich sind. Bei mir ging es schon mit dem Wörtchen woke los. Was soll das sein? Obwohl ich mir einbilde, über einen großen und umfassenden Wortschatz zu verfügen, war mir das Wort erst einmal nicht geläufig. Kein Wunder, gehört es doch zu einer – na? – woken Gruppe.

Woke ist ein Nischenwort

So ganz eingeführt scheint das Wort nicht zu sein, obwohl ich es in jüngster Zeit immer öfter höre. Immerhin fühlte sich Netzwelt.de erst im April dieses Jahres genötigt, die Frage „Was bedeutet woke?“ zu beantworten. Woke heißt soviel wie wach, wach genug, zu sehen, was anderen widerfährt. Also wie sie diskriminiert werden oder wie es ihnen als marginalisierte Gruppen geht. Und genau diese woke Gruppe greift zu Wörtern, die Menschen ausgrenzen, weil sie sie nicht verstehen.

Da sind vor allem die Ismen. Die kennen wir schon aus einer anderen Zeit und einem anderen Zusammenhang, nämlich dem politischen und dem kunsthistorischen: Kommunismus, Faschismus, Futurismus, Impressionismus. Alles, was auf -ismus endet, ist ein Ismus. Solche Ismen bezeichnen Geistes- oder politische Haltungen.

Immer neue Ismen

Die neuen Ismen beziehen sich vor allem auf Äußerlichkeiten und die Herkunft oder die Fähigkeiten von Menschen. Der bekannteste dürfte der Rassismus sein. Neuerdings findet sich immer häufiger aber auch der Ableismus – sprich: Able-ismus – und nun also auch der Ageismus und der Tokenism, also der Tokenismus.

Der Ableismus lässt sich noch ableiten. Er steht für die Herabwürdigung aller, denen gewisse Fähigkeiten fehlen. Manche übersetzen das Wort mit Behindertenfeindlichkeit. Ähnlich erschließt sich der Ageismus. Bisher hieß das Altersdiskriminierung, aber in woken Kreisen geht es offenbar nicht ohne Anleihen beim Englischen. Legt man den Ageismus weit aus, müsste auch das verbale Dreinschlagen auf alte weiße Männer dazu gehören. Aber das ist bei woken Leuten nicht opportun.

Tokenism – ein unbekanntes Wort

Jetzt also noch der Tokenismus oder Tokenism. Den kann ich nicht entschlüsseln, tut mir leid. Ich habe einen Token, also ein Gerät, mit dem ich in den VPN-Tunnel meiner Redaktion komme. Das kann aber bei Tokenism nicht gemeint sein. Was hat ein Ding, das sechsstellige Zahlen generiert, mit der woken Welt zu tun? Im Fall von Tokenism hilft nur Netzrecherche. Jetzt weiß ich, dass die Sache recht komplex ist.

Der Begriff Tokenism lässt sich angeblich in etwa mit Quotenfrau oder Quotenmigrant oder ähnlichen Quotenmenschen übersetzen. Oder um es aus der radikaleren Sicht zu formulieren: Dominante Gruppen lassen nur einige wenige Marginalisierte im Zentrum zu, die sie jedoch nur akzeptieren, wenn sie die Ideologie der dominanten Gruppe bestätigen – also dieselbe Meinung vertreten wie diese. So soll es die schwarze Wissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak definiert haben.

Das Ziel hinter den Wörtern

Hätten wir das also geklärt. Was mich daran aber bewegt, ist nicht die Tatsache, dass ich diesen Begriff nicht kannte und ihn wie etliche andere aus der woken Bubble erst lernen musste. Ich denke vielmehr darüber nach, dass alle, die diese Begriffe benutzen, natürlich etwas damit erreichen wollen. Sie wollen auf Missstände hinweisen, etwas anprangern, was nicht in Ordnung ist, und sie wollen andere überzeugen. Von ihrer Sicht auf die Gesellschaft und davon, sich nicht so zu verhalten, dass sie andere verletzen.

Ein hehres Anlieger, dass jeder nur unterstützen kann. Aber was, wenn das Anliegen gar nicht verstanden wird? Ist es nicht Sinn der Debatten über Ableismus, Ageismus, Tokenism, die Dinge zu benennen und zu verbessern? Breite Schichten der Gesellschaft mit diesen Problemen zu konfrontieren und Verhaltensänderungen zu erreichen? Aber wie soll das gehen, wenn niemand die Worte versteht?

Für die meisten unverständlich

Ich bewege mich täglich unter Menschen, die nicht den ganzen Tag im Netz unterwegs sind, die nichts mit woken Kreisen zu tun haben, die einfach ihr Leben leben und sich aus den üblichen Quellen informieren. Durchaus gebildete Leute, sehr belesen, die mitten im Leben stehen. Die wissen nicht, was ein Cis-Mann ist, geschweige denn woke. Ich habe es oft genug getestet, in dem ich sie nach der Bedeutung solcher Wörter gefragt habe. Die haben keine Ahnung. Und das kann und will ich ihnen nicht ankreiden. Zumal ich mir die Wortbedeutungen selbst erst ergoogeln musste.

All diese Begriffe zwischen Ableism und Tokenism haben es bisher nicht in die Alltagssprache geschafft und werden es auch nicht schaffen. Da bin ich sicher. Müssen sie auch nicht. Missstände lassen sich auch so benennen, dass sie jeder versteht. Warum misogyn sagen, wenn frauenfeindlich doch viel verständlicher ist? Wenn die, die ständig von Diskriminierungen sprechen, etwas erreichen wollen, müssen sie so reden und schreiben, dass die Mehrheit sie versteht. Sonst bleiben sie in ihrer Bubble. Ja, sie wirken sogar von oben herab und recht arrogant, wenn sie so abgehoben kommunizieren. Das dient ihrer Sache nicht. Aber vielleicht fühlen sie sich dann einfach besser als Hans und Franz und meinetwegen auch Hanna und Franziska.

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