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ÖPNV: Notizen aus der Provinz

Die Bushaltestelle vor unserem Haus wäre für einen fußlahmen Wanderer keine Rettung. Sie ist symptomatisch für den Öffentlichen Nahverkehr, ÖPNV auf dem Land. Angesichts der Debatten um fahrscheinlosen, also für die Fahrgäste zunächst kostenlosen Nahverkehr, kann ich nur müde lächeln.

Ja, es ist eine schöne Vorstellung, einfach so in den Bus oder die Straßenbahn zu steigen, ohne vorher den Geldbeutel zücken oder eine Monatskarte im Portemonnaie zu haben. Aber noch schöner wäre es für uns, endlich einen öffentlichen Nahverkehr zu haben, der den Namen verdient. Außerhalb der Städte aber ist das nur ein Traum und wird es wahrscheinlich immer einer bleiben.

Schulbus mit Lücken

Bei uns fährt der Bus um 6.50 Uhr und um 7.28 Uhr ab. Damit kommt das Kind zur ersten und zur zweiten Stunde zur Schule. Wenn es zur dritten Stunde Schulbeginn hat, muss ich es zu einem etwa sieben Kilometer entfernten Nachbarort fahren, weil es so spät bei uns keinen Bus mehr zur Schule gibt, der hier abfährt. Ähnlich sieht es mittags aus, alle Fahrten außerhalb der fünften oder sechsten Stunde müssen anders organisiert werde. Es lebe der Bürgerbus, ein Kleinbus, der seit bald 20 Jahren hier unterwegs ist und auch die Schulkinder fährt. Der ÖPNV bringt sie keineswegs nach Hause.

Der Bürgerbus ist aus einer Einwohnerinitiative entstanden und fährt nachmittags die Kinder, auch zum Konfirmandenunterricht oder zum Turnen. Er ist für Schulkinder unschlagbar günstig, kostet 60 Cent pro Fahrt von Tür zu Tür. Vormittag fährt er an bestimmten Tagen in die Kreisstadt zum Wochenmarkt, zu den Ärzten oder zur Kirche. Am Steuer sitzen meistens ehrenamtliche Fahrer. Wenn ich in Rente bin, fahre ich auch Bürgerbus, das ist eine tolle Einrichtung.

Aber zurück zum öffentlichen Nahverkehr. Die paar Busse, die bei uns halten, fahren nur, wenn keine Ferien sind. Keine Schule, kein Bus. So einfach ist das. Immer wieder höre ich das Argument, wenn mehr Fahrgäste da wären, wären auch mehr Buslinien da. Die Leute auf dem Land würden eben doch lieber Auto fahren. Aber genau da dreht sich eine Spirale. Kein Bus, keine Fahrgäste. Keine Fahrgäste, kein Bus.

Kein Wegkommen

Oder anders ausgedrückt: Hätte ich kein Auto oder wäre es kaputt, käme ich nicht aus unserem Dorf heraus. Keine Chance, etwas einzukaufen, keine Chance, zum Arzt zu kommen, keine Chance, am kulturellen, sportlichen oder öffentlichen Leben teilzunehmen. Gut, es gibt noch das Fahrrad, das hilft, um ins Nachbardorf zu kommen. Der nächste, neun Kilometer entfernte Arzt ist damit nicht erreichbar, zumal, wenn man krank ist. Das ist auch der Grund, warum eine Flüchtlingsfamilie im Dorf schnell wieder weggezogen ist. Sie kamen einfach nicht vom Hof.

Ich habe noch keine Idee, wie die Situation zu ändern wäre. Vielleicht müsste erst ein – zunächst nicht viel genutztes – Angebot her, um die Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen. Die Busse müssten öfter als nur alle paar Stunden fahren, zur Not auch fast leer. Obwohl: Die Vorstellung vom Riesentaxi will mir nicht so recht in den Kopf: Mein Kind ist letztens als einziger Fahrgast mit einem Gelenkbus von A nach B gebracht worden. Bis auf sie war der Bus komplett leer. Wer will so ein Angebot guten Gewissens vorhalten?

Der Geisterbus

Um auf den fußlahmen Wanderer zurückzukommen. Wir haben vor dem Haus neben der Schulbushaltestelle noch eine weitere, auf der anderen Straßenseite. Dort steht, dass mittwochs um 10.20 Uhr dort ein Bus hält, um in die Gegenrichtung zu fahren. An keinem anderen Tag, zu keiner anderen Uhrzeit, aber eben mittwochs. Käme mittwochs um 10.15 Uhr ein müder Wanderer, seufzte erleichtert auf, dass er nicht weitergehen, sondern in den Bus steigen könnte, er stünde dort in zehn Jahren noch. Denn in den mittlerweile 15 Jahren, die wir hier wohnen, ist der mittels Haltestellenaushang angekündigt Bus noch nie gekommen. Nicht mittwochs um 10.20 Uhr und auch sonst nie. Immerhin: Der Haltestellen-Pfahl und die Gestaltung der Haltestellentafel wurden irgendwann vor ein paar Jahren dem durchgängigen Design des hiesigen Verkehrsbetriebes angepasst. Die Haltestelle ist also nicht ganz vergessen worden. Warum dort aber nie ein Bus hält, konnte mir beim Verkehrsbetrieb bisher niemand zufriedenstellend beantworten.

Der Geisterbus ist symptomatisch für den ÖPNV auf dem Land. Wenn überhaupt ein Bus kommt, dann nur, wenn nicht gerade Ferien sind. So wird das nie etwas mit dem Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. Von fahrscheinlosem ÖPNV erst gar nicht zu reden.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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