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Frau? Mann? Bin ich oder werde ich gelesen

In sozialen Netzwerken begegnen mir immer wieder seltsame Wendungen. Da werden Menschen „als Frauen gelesen“. Ich dachte immer, wir lesen Texte. Immer häufiger beobachte ich, dass Wörter, deren Bedeutung an sich klar ist, in anderen Zusammenhängen verwendet werden. Vor allem aber finde ich dieses gelesen werden von Menschen abstrus.

Wer sich etwas genauer damit befasst, lernt schnell, dass Frau sein mindestens zweierlei ist: entweder, jemand wird als Frau gelesen oder identifiziert sich als Frau. Für mich ist das an sich dasselbe. Warum soll ich als Frau nicht als Frau gesehen – besser als gelesen, immerhin – werden? Ich bin Frau, fühle mich als Frau und werde als Frau wahrgenommen. Ob jemand in mir liest oder mein Frausein liest, ist mir doch egal.

Seit wann werden Menschen gelesen?

Ich laufe nicht durch die Gegend und überlege mir, wie jemand mich liest. Wer sind überhaupt diese Frauen, die sich als Frauen gelesen fühlen, aber nicht Frau sind? Die Befürworter der Formulierung „als Frauen gelesen“ führen an, dass nicht-binäre und Transmenschen als Frauen „gelesen“ werden, obwohl sie sich nicht als solche fühlen oder als solche eingeordnet werden möchten. Ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Aber ist der wirklich mit der Formilierung, jemand werde „als Frau gelesen“ aus der Welt geschafft?

Es geht noch schlimmer: frauisierte Menschen

Die sprachlichen Verrenkungen, um mehr als sogenannte Cis-Frauen zu bezeichnen, gehen sogar noch viel weiter. Da ist die Rede von „Menschen, die schwanger werden können“ oder „Menschen mit Uterus“ oder „Menschen, die menstruieren“. Okay, spielen wir das mal durch. Ich bin in einem Alter, in dem ich nicht mehr schwanger werden kann und will. Also bin ich da raus, wenn es um Menschen, die schwanger werden können, geht. Ob Frau oder nicht. Und wie ist es mit Menschen mit Uterus? Sind die keine Frauen mehr, falls sie keinen Uterus mehr haben? Wer übrigens nichts von gelesenen Frauen wissen möchte, hat eine völlig verrückte Alternative: frauisierte Menschen.

Ich kann mich also nur einer Twitter-Nutzerin anschließen, die schrieb: „Nervigstes Trendwort momentan: Dinge „lesen“, die man nicht lesen kann. Menschen werden etwa nicht als Mann oder Frau „gelesen“, sondern eingeordnet. Und Filme werden nicht „rassistisch gelesen“, sondern als rassistisch interpretiert oder eingestuft.“ Was mich dazu bringt, darauf hinzuweisen, dass nicht nur Frauen gelesen werden, sondern auch alles möglich andere. Übrigens werden Männer nie als Männer gelesen, Männer sind Männer, gerne mit dem Zusatz alte weiße oder neuerdings auch junge weiße Männer, die auch angeblich nichts zu sagen haben.

Adressieren und markieren

Der Wahn, Menschen nicht als Menschen irgendeines Geschlechts benennen zu wollen, geht noch weiter. Da werden Menschen „als Frauen markiert oder „adressiert“. Das bedeutet für die Frauen auch, dass sie diese Zuschreibungen passiv ertragen müssen. Nur gut, dass diese Art des Sprechens und Schreibens letztlich nur in einer Bubble stattfindet. Da draußen in der Welt lesen Leute Bücher, aber sie lesen keine Menschen.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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