Priwall in Travemünde: Wie sich ein Ort verändern kann
Urlaub in der Pandemie heißt, sich im Umkreis des eigenen Zuhauses rumzutreiben. Ich habe das gute Wetter für ein paar Tagesausflüge genutzt. Einer führte mich nach Travemünde auf den Priwall. Ein Ort, an dem ich vor 20 Jahren oft war. Seitdem nicht mehr. Ich habe den Priwall fast nicht wiedererkannt.
Damals, zwischen 1991 und 2001, war der Priwall oft Ziel meiner Reportagefahrten. Etliche Termine fanden, vor allem bei der Travemünder Woche, auf der Viermastbark „Passat“, dem Wahrzeichen von Travemünde, statt. Die „Passat“ liegt dort immer noch. Nur das Drumherum, das hat sich total verändert. Wo vorher nur ein Streifen Strand, ein paar an Kasernen erinnernde Backsteinbauten und -hallen und dahinter Bäume jenseits des Yachthafens zu sehen waren, erstreckt sich jetzt ein Quartier aus Ferienwohnungen und Ferienimmobilien. Klinisch rein, überwiegend in Weiß und hellem Beige gehalten, dazwischen ein paar rote Farbklekse.
Die sogenannte Priwall Waterfront entstand ab 2018 auf sechs Hektar Fläche. Eine Bürgerinitiative hatte sich dagegen gewendet, konnte das Projekt aber nicht verhindern. Hinter den Wasserfront-Bauten heben sich 32 Häuser, Dünenvillen genannt. Das gesamte Vorhaben erntete viel Kritik. Im Sommer 2020 wurde es fertig – und kalt von der Corona-Pandemie erwischt. Und so präsentiert sich die Waterfront jetzt als menschenleer und klinisch rein. Zurzeit herrscht seit Monaten Beherbergungsverbot, das Gebiet präsentiert sich wie ein Ausstellungsstück. Selbst bei schönstem Sonnenschein ist dort kaum jemand unterwegs.
Ich hatte das neue Viertel noch nicht selbst gesehen, nur davon gelesen. Ich weiß noch nicht so recht, wie ich das finden soll. Die alten Backsteingebäude und -hallen waren alles andere als schön. Das neue Viertel sieht gut aus, sogar den sogenannten Promenadenvillen kann ich etwas abgewinnen. Sie erinnern in ihrer Bauweise an gestapelte Container und stechen mit ihren roten Farbe aus der sonst hellen Architektur hervor. Mir gefällt, dass die Architekten hier in klaren, modernen Linien gebaut haben. Nichts ist schlimmer, als romantisierendes Kopieren des Alten. Aber könnten solche Siedlungen nicht überall stehen? Sind sie nicht austauschbar?
Eine alte Dame mit vier Masten
Nicht austauschbar ist die „Passat“, die, hinter dem Yachthafen liegend, das Areal mit ihrer schieren Größe und ihrem maritimen Charme bestimmt. Mittlerweile ist die alte Dame von beiden Seiten eingerahmt von moderner Architektur, die allein dem Tourismus dient. Auf der einen Seite die Waterfront. Der Blick von dort geht an der „Passat“ vorbei auf der Maritim-Hotel und die dort neu gebauten Appartement-Blocks.
Es ist wohl der Lauf der Zeit, dass attraktive Landstriche neu bebaut werden mit Unterkünften für Feriengäste. Und dass es offenbar kein Halten mehr gibt. Denn in normalen Zeiten wird mit Touristen viel Geld verdient. Wir wären hier oben an der Ostsee wahrscheinlich immer noch arme Bauern und Fischer, gäbe es nicht seit mehr als 100 Jahren Reisende, die ihr Geld zu uns tragen.
Und ganz ehrlich: Als Einheimische genieße ich es – meistens – dort zu wohnen und zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Da kann ich auch überbordende Ferienbauten hinnehmen. Und so schlimm sehen die Waterfront-Gebäude nun wahrlich nicht aus. Schade finde ich nur, dass die Ferienhäuschen von vor 50 oder 60 Jahren immer mehr von mehr oder weniger großen Kästen verdrängt werden.