Kürzen: Werden Texte durchs Streichen wirklich besser?

Dieses hier wird ein mittellanger Text über das Kürzen von Texten. Ganz kurz geschrieben: Kürzen macht jeden Text besser. Wirklich? Ich habe diese These aufgestellt und will sie gerne* begründen. Und gleichzeitig mit einem Missverständnis aufräumen, das bei einer Diskussion darüber aufkam: Es geht nicht darum, ob lange oder kurze Texte mehr gelesen werden, sondern darum, ob Texte durchs Kürzen besser werden.

Ich bin eine absolute Verfechterin des Kürzens von Texten. Ich bin als Journalistin noch im Printzeitalter groß geworden, als es um Zeilen ging und oft genug darum, um jede Zeile zu kämpfen. Zeitungen haben nun mal keine Klappseiten. Den layoutenden Kollegen wurde irgendwann im Laufe des Tages angesagt, wie viele Zeilen ein Thema brauche. Um mich selbst zu zügeln, habe ich die Länge bei fertigen Texten stets zehn (bei kürzeren) oder 20 Zeilen (bei langen Reportagen) kürzer angegeben, als sie tatsächlich waren. Das hat mich dazu gezwungen, fertige Texte ordentlich durchzuputzen.

An den Leser denken

Das macht die Texte besser und tut dem Leser gut. Das ist meine feste Überzeugung. Beim Kürzen geht es nämlich nicht darum, Inhalt zu streichen, sondern Füllwörter, Redundanzen, Wiederholungen. Oder wie es manchmal heißt: Texte müssen entnunt – also alle „nun“ – oder, was öfter vorkommt, entaucht – also alle „auch“ – gestrichen werden. Das macht oft schon ein paar Zeilen aus. Kürzen zu müssen, bringt Autoren zudem dazu, langatmige Erklärungen zu straffen, Substantivierungen aufzulösen und Übergangssätze wie „was noch gesagt werden müsste“ oder das vermaledeite „zur Vorgeschichte“ zu entfernen. Tipps zum Kürzen gibt es genug.

Wegen des Layouts ist Redakteuren das gekonnte Kürzen – und manchmal auch das Verlängern – von Texten in Fleisch und Blut übergegangen. Der alte Journalistenspruch „Wer 30 kann, kann auch 100, und wer 100 kann, kann auch 30 (Zeilen)“ stimmt immer noch. Bei vielen Texten wäre es allerdings ein Jammer, sie drastisch zu stutzen, weil sie einfach gut geschrieben sind und das Lesen pures Vergnügen bereitet.

Ohne zähmendes Layout

Dann kam das Internet. Es kennt keine Längenbeschränkungen. Seit wir vermehrt online publizieren, sprechen wir nicht mehr von Zeilen, sondern von Zeichen. Heute hieße der Spruch „Wer 4500 kann, kann auch 1200 . . .“. Aber das sagt heute niemand mehr. Dabei kann das Schreiben für online Fluch und Segen zugleich sein. Es diszipliniert nicht so sehr wie das Schreiben für Print.

Dann wäre da noch der Inhalt. Das Problem bei manchen Texten ist, dass es viel, manchmal zu viel Inhalt für die gewünschte Form gibt. Das kennen Printjournalisten gut, aber auch online dürfen Texte nicht ausufern. Nichts gegen lange, auch sehr lange Texte im Netz. Aber spätestens wenn die Länge für ein dünnes Buch reichen würde, dürfte die Aufmerksamkeitsspanne eines Online-Lesers langsam erschöpft sein.

Zu viel Inhalt aufspalten

Was tun also mit zu viel Inhalt für zu wenig Textlänge? Auch das kenne ich gut. Manchmal bietet es sich an, einen Teilaspekt oder mehrere abzuspalten, aus einem sehr langen Text mehrere kürzere zu machen. Ich habe schon erlebt, dass ich einen Teil eines langen Textes für später zurückgelegt habe. Dieses Später kam aber nie. Das mag an der Natur von Tageszeitungen liegen, für die ich üblicherweise schreibe. Aber selbst da bleibt manchmal noch die Möglichkeit, eine Serie zu schreiben. Genug Aktualität vorausgesetzt, um nicht am Leser vorbeizuschreiben. Schließlich geht es im Journalismus um Nachrichten.

Grundsätzlich ist gegen lange Texte überhaupt nichts zu sagen. Immer vorausgesetzt, der Inhalt trägt sie. Wer viel zu sagen hat, soll auch lang schreiben dürfen. Ist das Thema spannend oder spricht es den Leser an, wird er ihn von vorne bis hinten lesen. Die Aussage, im Internet würden nur kurze Texte gelesen, ist falsch. Wer oft lange Texte liest, ein geübter Leser ist, der schreckt nicht vor 5000, 10000 oder mehr Zeichen zurück.

Sich selbst zügeln

Trotzdem komme ich auf meine Anfangsthese zurück. Hätte ich 10000 Zeichen verfasst, würde ich mich selbst an die Kandare nehmen und mir auferlegen, zehn Prozent davon zu kürzen. Denn ich bin überzeugt davon, dass das Kürzen Texte besser, lesbarer, verständlicher macht. Und deshalb pflüge ich jetzt noch einmal durch diesen Text über das Kürzen, um ihn hoffentlich besser zu machen.

*Wörter, die ich beim Kürzen streichen würde. Ich habe sie hier nur kursiv gesetzt, um zu verdeutlichen, was ich meine. Eine kleine Einschränkung gibt es noch: Beim Schreiben geht es auch um Sprachmelodie. Da können ein paar Noten mehr durchaus den richtigen Ton ergeben und deshalb angebracht sein.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert