Gendern: Wirrwarr und seltsame Verkaufende
Ich bin kein Freund des Genderns, aus inhaltlichen, aber auch aus formalen Gründen. Aber wie immer man dazu stehen mag: Es fällt auf, dass das Gendern in Schriftform mittlerweile zu einem völligen Wirrwarr und den krausesten Konstruktionen geführt hat. Ein paar Beobachtungen dazu.
Jeden Tag rauschen etliche Pressemitteilungen in die Postfächer der Redaktion. Viele von Vereinen – nimmt nach dem Ende der Corona-Beschränkungen wieder zu – und etliche von Behörden. Seien es Gemeinde- oder Stadtverwaltungen, Staatsanwaltschaften oder Straßenbauämter. Und überall versuchen gerade die öffentlichen Stellen, irgendwie zu gendern. Mit Betonung auf irgendwie. Was dabei herauskommt, ist, dass jeder auf seine Art gendert. Und so kann es sein, dass in fünf Pressemitteilungen eines Tages sechs verschiedene Genderformen vorkommen.
Beim Gendern spielen Regeln keine Rolle
Dass zwischen Gender*sternchen und Gender:doppelpunkt lustig hin- und her gewechselt wird, ist das eine. Dass Sternchen oder Doppelpunkt an falschen Stellen gesetzt werden, das andere. Da ist etwa die Rede von Beamten:innen oder Beamten*innen. So war das, glaube ich, nicht gedacht. Aber beim Gendern scheinen Regeln eh keine Rolle zu spielen.
Welche Volten die Sprache beim Gerundium, der Verlaufsform, nehmen kann, habe ich gerade erst wieder gesehen. Da wollte jemand nicht von Bäckereifachverkäuferinnen – denn das sind meistens Frauen – sprechen. Stattdessen wählte er das Wort Bäckereifachverkaufende. Aha, das sind also die, die das Bäckereifach verkaufen. So würde ich es jedenfalls verstehen. Eine ähnliche Konstruktion habe ich schon einmal bei der Formulierung Asylbewerbende bemängelt.
Tote Radfahrer sind keine Radfahrenden
Etwas abstrus war auch die Formulierung einer Polizeipressestelle, die davon schrieb, dass die Polizei den Fahrradverkehr kontrolliert und dafür die Fahrradfahrer angehalten habe. In der Pressemitteilung war von angehaltenen Radfahrenden die Rede. Aber sind sie noch Radfahrende, wenn sie gerade nicht Fahrrad fahren, sondern die Polizei ihre Räder auf Verkehrssicherheit kontrolliert? Noch seltsamer mutet es an, wenn mit weißen Fahrrädern an im Verkehr ums Leben gekommene Radfahrende erinnert wird. Können Tote Fahrrad fahren?
Gisela Zifonum nennt das in ihrem Text „Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem: Erneute Diskussion um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch“ eine „krampfhafte Vermeidungsstrategie“. Und wie bei allen krampfhaften Strategien beobachte ich auch beim Gendern, dass diejenigen, die es verwenden, unbeabsichtigt doch wieder in alte Muster zurückfallen.
Rückfall in ungewollte Sprachmuster
Wer genau liest oder hinhört, findet immer wieder Beispiele, bei denen sich das so verpönte generische Maskulinum in Texte zurückschleicht. Beispiel Handwerkende für Handwerker und Handwerkerinnen. Geht es um einen, heißt es „der Handwerkende“, was wiederum ein Maskulinum ist. Warum also nicht gleich „die Handwerker“ schreiben. Da steht immerhin ein weiblicher Artikel davor.
Ein Gedanke, der mir bei den angestrengten Genderversuchen immer wieder kommt: Wie gut, dass bei den wirklich wichtigen Mitteilungen nicht gegendert wird. Oder kann sich jemand vorstellen, dass der Verkehrsfunk mitteilt: Achtung Autofahrer und Autofahrerinnen, auf Ihrer Spur kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen? Und ganz ehrlich: Welche Frau fühlt sich dann nicht mitgemeint und bleibt auf der linken Spur?