Die doppelte von Maltzan: zwei Künstlerinnen aus zwei Generationen
Vergangene Zeiten haben mich immer fasziniert. Besonders, wenn ungewöhnliche Frauen darin eine Rolle gespielt haben. Vor einigen Jahren bin ich bei meiner Arbeit als Reporterin auf eine vergessene Malerin gestoßen. Ihre Lebensgeschichte wäre eine gute Romanvorlage. Leider schreibe ich keine Romane, sondern nur Artikel. Hier ist sie also, die Lebensgeschichte von Alice Freifrau von Maltzahn (1883-1973), geborene Alice Marie Ella Markgräfin von Coligny-Petitjean. Allein der Name klingt wie Musik.
Die Dame war alles andere als eine lebensuntüchtige Grande Dame der wilhelminischen Zeit. Freifrau von Maltzahn verstand sich als ernst zu nehmende Malerin und war es auch. Die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Reinfeld in Schleswig-Holstein, wo seit ihrem Tod das Heimatmuseum den Schatz ihres Nachlasses hütet: einige Ölgemälde, viele Rötel- und Kohlezeichnungen, ihre Staffelei und den Holzkrug mit ihren Pinseln. Sie künden von einem Leben für die Kunst, und die Bilder der Freifrau beweisen, dass sie Talent hatte und durchaus mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Und dass eben jener Boden vermutlich irgendwann in ihrem Leben in Pariser Bordellen lag. In ihrem Nachlass gibt es undatierte Zeichnungen, die junge Frauen in Negligé und Strapsen zeigen. Für die damalige Zeit skandalös. Auch lebensvolle Akte aus der Feder von Alice von Maltzahn hütet das Museum.
Die Dame hatte ein bewegtes Leben, das sie 1939 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten nach Reinfeld verschlug – aus Gründen, die heute noch staunen machen. Zum einen erinnerte sie der Herrenteich – sie bewohnte das Haus Herrenkamp 5 mit Seeblick – an den Schweriner See. Zum anderen war die Malerin, auch das war damals sicher ein Stein des Anstoßes in der guten Gesellschaft, eine begeisterte Seglerin. In Reinfeld, so soll sie gesagt haben, habe sie diesem Hobby nachgehen können. Ob Alice von Maltzahn tatsächlich über den Herrenteich segelte, ist nicht überliefert. Vorstellbar ist es schon.
Die Gräfin löste übrigens öfter in ihrem Leben Entsetzen aus. Etwa als sie als junge Frau ihre Bilder verkaufte. Für ihre Eltern ein Fauxpas. Mit 19 Jahren hatte die junge Alice 1902 den um vieles älteren Karl-Axel Baron von Maltzahn geheiratet und war zu ihm nach Mecklenburg gezogen. Die Ehe blieb kinderlos. Die junge Frau widmete sich intensiv der Kunst. Sie bewarb sich an der Hochschule für bildende Kunst in Weimar und wurde nach Begutachtung ihrer Arbeiten in die „Naturclasse“ aufgenommen. „Dass eine weibliche Person an einer Kunstschule Aufnahme fand, war in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich, denn in einem Statut von 1908 der Berliner Kunsthochschule hieß es wörtlich: ,Schülerinnen finden keine Aufnahme'“, schrieb die Reinfelderin Maren Zunk, Witwe des langjährigen Museumsleiters Bodo Zunk, anlässlich einer Ausstellung im Heimatmuseum zum 15. Todesjahr der Künstlerin 1988. Ihre Informationen hatte Maren Zunk von zwei Verwandten des Lebensgefährten der Künstlerin.
Alice von Maltzahn liegt auf dem Alten Friedhof an der Reinfelder Matthias-Claudius-Kirche begraben. Die Stadt Reinfeld widmet ihr auf ihrer Stadt-Homepage als eine von fünf wichtigen Persönlichkeiten einen kleinen Beitrag. Wie unbekannt Alice Freifrau von Maltzahn ist, beweist die Google-Suche. Sie bringt gerade mal sieben Beiträge hervor (mit diesem hier demnächst acht). Wer allerdings „Alice von Maltzahn“ aufruft, stößt auf eine andere Künstlerin gleichen Namens. Alice von Maltzahn ist 1983 in Oxford geboren worden und studierte Kunst. Kennt sie ihre bekannte Namensvetterin? Ich habe Alice von Maltzahn angeschrieben, aber keine Antwort bekommen.