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Otto Haesler, der unbekannte Architekt des Neuen Bauens

Schon mal von Otto Haesler gehört? Vermutlich nicht. Was schade ist und ihm nicht gerecht wird. Der Architekt war nicht nur der Erfinder des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland, sondern auch einer, der das Neue Bauen im Bauhausstil perfektioniert hat. Dennoch ist ihm nicht der Ruhm der Original-Bauhäusler zuteil geworden. Zeit, für ihn und für das Otto-Haesler-Museum zu werben.

Ich bin gerade in Celle gewesen, einer der Hauptwirkungsstätten von Otto Haesler (1880-1962). Von 1906 bis 1933 arbeitete er als freischaffender Architekt in der Stadt. Das Otto-Haesler-Museum ist im noch weitgehend original erhaltenen Wasch- und Badehaus der Siedlung Blumläger Feld untergebracht, die zwischen 1930 und 1931 errichtet wurde. Dort fanden 147 Familien in 222 Meter langen zweigeschossigen Wohnblöcken eine Kleinstwohnung. Was wörtlich zu nehmen ist. Für einen Vier-Personen-Haushalt wurden 43 Quadratmeter zugestanden. Allerdings perfekt ausgenutzte Quadratmeter, wie eine Musterwohnung zeigt.

Ehrenamtler, die das Erbe Haeslers bewahren

Sie gehört zum Otto-Haesler-Museum, das gleich um die Ecke liegt und von der Otto-Haesler-Stiftung betrieben wird. Dort hält Rudolf Becker das Heft in der Hand. Der Baudirektor im Ruhestand ist ehrenamtlicher Geschäftsführer des Museums. Er gibt zu, dass ihm Otto Haesler vor seinem Dienstantritt im Celler Bauamt kein Begriff war. Heute ist er ein Kenner von Leben und Werk des Architekten. Gerne und ausführlich hat Becker mich durchs Museum geführt. Eine wunderbare Eins-zu-Eins-Betreuung. Das gibt’s nicht alle Tage. Um das Erbe Otto Haeslers kümmert sich außerdem die Otto-Haesler-Initiative.

Rudolf Becker im Otto-Haesler-Museum vor einem Bild, das Bewohner bei einer Silvesterfeier zeigt.

Der zentrale Raum des Museums befindet sich im ehemaligen Wasch- und Badehaus. Der größte Teil ist dem Waschhaus vorbehalten. Die Einrichtung ist noch fast original vorhanden, einschließlich Einweichbecken mit Waschbrettern, Kaltmangel und einer der allerersten Waschmaschinen aus dem Jahr 1931. Sogar Kleider aus der Zeit hängen noch auf Bügeln an den Wänden.

Otto-Haesler-Museum Celle
Blick in das Waschhaus mit Einweichbecken und Kleidern der damaligen Zeit.
Otto-Haesler-Museum Celle
Mit Kohlen betriebene Waschmaschine von 1931.

Auf der Wand, die den Einweichbecken gegenüberliegt, hängt ein großer Bildschirm. An ihm können die Besucher Informationen zu verschiedenen Themen aufrufen. Ein Kapitel zeigt Fotos der Bewohner. Zu jeder der Mini-Wohnungen gehörte ein Stück Garten im Inneren der U-förmigen Bauten der Siedlung Blumläger Feld. Die kurze Seite des U bildete der sogenannte Lungenflügel, der heute noch steht. Dabei handelte es sich zum eine kurze Reihenhauszeile für an Tuberkulose erkrankte Bewohner.

Otto-Haesler-Museum Celle
Die Reihenhäuser des Lungenflügels stehen noch und sind weiterhin bewohnt.

Es gab in den Wohnungen Zentralheizung, und das Wasch- und Badehaus stand allen Bewohnern zur Verfügung. Wer es nutzen wollte, musste sich anmelden und dafür zahlen. Im Badeteil des Gebäudes standen Wannen und Duschen. Genutzt wurden sie wie früher üblich am Sonnabend, weil es sonntags frische Wäsche für alle gab. Was heute kaum vorstellbar ist, war damals Luxus, übrigens genauso wie die Tatsache, überhaupt eine Wohnung als Familie für sich allein zu haben.

Eine revolutionäre Art des Bauens

All das berichtet Rudolf Becker den Besuchern des Museums sehr anschaulich. Aus seinen Erzählungen wird deutlich, wie revolutionär Otto Haeslers Gedanken und deren Umsetzung in bezahlbaren Wohnraum waren. Wie dringend sozialer Wohnungsbau war, beweist die Tatsache, dass auf jede Wohnungen drei Bewerber kamen. So berichtet es Becker, der jede Frage der Besucher gern und fachkundig beantwortet.

Auf zwei Dinge legt er großen Wert: dass Haesler dem Neuen Bauen verpflichtet war, aber nicht dem Bauhaus zugerechnet werden kann, obwohl die Stadt Celle damit wirbt. Und darauf, dass das Museum kein Heimatmuseum ist, auch wenn manches so wirkt. Es ist ein Architekturmuseum, und das wird auch mit Ausstellungsteilen klar, die sich der Bauweise der Wohnblöcke widmen.

Otto-Haesler-Museum Celle
Anhand von Plänen und Materialien wird die Bauweise der Häuser verdeutlicht.

Otto Haesler, der zunächst noch traditionell baute, hatte nicht nur das Ziel, den ärmeren Schichten menschenwürdige Wohnungen zu verschaffen, sondern auch, sie schnell und preisgünstig zu bauen. Das erreichte er durch genormte Grundrisse und Stahlskelettbauweise. So verwundert es nicht, dass große Bauprojekte innerhalb von ein, zwei Jahren fertig wurden. Bald konnten die Mieter einziehen. Die Stahlskelette machen allerdings heute manchem Bau den Garaus. So sind große Teile der langen Mehrfamilienhäuser im Blumläger Feld bereits abgerissen, anderen steht dieser Abriss bevor.

Die roten und blauen Häuser im Bauhaus-Stil

Ganz anders die Häuser in der Straße Italienischer Garten. Sie sind die wohl hervorstechendsten Bauten Haeslers in Celle, schon wegen ihrer roten und blauen Fassaden. Heute präsentieren sich die Straße und ihre Häuser noch immer in ihrem ursprünglichen Aussehen. Bei meinem Besuch stand die Sonne leider so, dass sie die Seite beschien, an der die Autos parken. Schade für die Fotos.

achteln ineinander geschoben und farbig gestaltet: das Prinzip der Siedlung Italienischer Garten in Celle.
Drei Schachteln ineinander geschoben und farbig gestaltet: das Prinzip der Siedlung Italienischer Garten in Celle.

Eine der vielen Fragen, die sich im Zusammenhang mit Otto Haesler für mich gestellt haben, konnte Becker ebenfalls beantworten. Warum schreibt sich der Architekt immer klein, also otto haesler, so wie es heute noch zu lesen ist. Was heute für viele eine von etlichen Sprachmarotten ist, hatte damals ganz praktische Gründe. Haesler ließ sich unter anderem von den Bauhaus-Werkstätten Prospekte, Kataloge und Briefköpfe entwerfen und drucken. Dort war das Geld allerdings zeitweise so knapp, dass es nicht für Lettern in Großbuchstaben reichte. Also wurde alles klein geschrieben. Das hat Haesler in seinen Texten manchmal komplett so gemacht. Es kommt aber auch die regelkonforme Groß- und Kleinschreibung vor.

Ein Architekt, der mehr Ruhm verdient

Es gibt kaum eine Frage, zu der sich im Otto-Haesler-Museum keine Antwort finden lässt. Hier wird ein Architekt gewürdigt, der meiner Meinung nach viel mehr Ruhm und Nachruhm verdient hätte. Schade, dass er immer noch vielen so unbekannt ist. Beim Besuch des Museums kam mir durchaus der Gedanke, Bauten von Otto Haesler müssten wie das Fagus-Werk in Alfeld ins Weltkulturerbe aufgenommen werden. Vielleicht kommt das ja noch. Beim Fagus-Werk hat es auch etwas gedauert.

Wer sich für Architektur des 20. Jahrhunderts interessiert und in Norddeutschland unterwegs ist, sollte unbedingt einen Besuch im Otto-Haesler-Museum einplanen. Dort werden die Wurzeln des sozialen Wohnungsbaus eindringlich deutlich gemacht. Dort ist das Neue Bauen zu Hause. Otto Haesler hat es später noch in anderen Orten verwirklicht, aber möglicherweise nirgends so konzentriert wie in Celle. Wer mehr über die vielen von ihm entworfenen Bauten erfahren will, ist dort richtig. Und es gibt viel zu sehen.

Otto-Haesler-Museum Celle
Farbgestaltung in der Siedlung Italienischer Garten.
Otto-Haesler-Museum Celle
Wohnzimmer im Stil der 30er Jahre in der Musterwohnung.
Otto-Haesler-Museum Celle
Elternschlafzimmer im Stil der 30er Jahre in der Musterwohnung.
Otto-Haesler-Museum Celle
„Arbeitszimmer“ für die Schulkinder. Das Kinderzimmer war zu klein, um dort noch einen Schreibtisch aufzustellen.
Otto-Haesler-Museum Celle
Küche in der Musterwohnung im Stil der 30er Jahre. Damit der Dreck, den sich die Männer nach der Arbeit abwaschen, nicht ins Essen fliegt, gab es zwischen Herd und Waschbecken eine Glasscheibe.
Otto-Haesler-Museum Celle
Eine weitere Musterwohnung ist im Stil der 50er Jahre eingerichtet.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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