Meine persönliche Sprach-Polizei
Als in der vergangenen Woche das Unwort des Jahres gekürt wurde, kam die Bild-Zeitung sofort mit dem Begriff Sprach-Polizei um die Ecke. Die verordne Deutschland Sagbarkeitsregeln. Völliger Quatsch, und das haben dann auch Twitter-User klar gemacht und das Ansinnen eine Sprach-Polizei mit dem Verbot der Wörter indes und freilich persifliert. Volltreffer.
Mit geht es hier nicht darum, was Wörter wie das Unwort „Anti-Abschiebe-Industrie“ anrichten und welche im rechten Diskurs auftauchenden Wörter tatsächlich ungesagt bleiben sollten – um hier nicht den Müllhaufen der Geschichte zu bemühen. Mir geht es um meine persönlichen Hasswörter, Wörter, die ich nicht mag und spärlich verwende. Das ist meine Sache und geht höchstens meine persönliche Sprach-Polizei etwas an.
auch
Eine wissenschaftliche Autorin hat mich einst mit dem schönen Begriff des Entnunens von Texten überrascht. Sie geht an sie heran und streicht erst einmal alle nuns. Offenbar ein in Wissenschaftskreisen sehr beliebtes Wort. In vielen anderen Texten gibt es dagegen eine inflationäre Verwendung des Wörtchens auch. Deshalb gehe ich beinahe jeden Tag beim Redigieren daran, Texte zu entauchen. Manchmal ist ein auch durchaus angebracht. Aber in vielen, sehr vielen Fällen lässt es sich ersatzlos streichen, ohne den Sinn eines Satzes zu verändern. Und wenn es gar nicht anders geht, lässt sich gut durch außerdem, zusätzlich, gleichfalls oder ebenso ersetzen. Mittlerweile sind mir die auchs so verhasst, dass ich jedes mal zusammenzucke, wenn ich eines sehe.
Event
Es ist schon einige Jahre her, da fiel plötzlich ein Wort über uns her, dass es vorher so gut wie nie gegeben hatte: Event. Plötzlich war alles ein Event. Wo vorher Ereignis oder – vor allem in dieser Bedeutung gebraucht – eine Veranstaltung stattfand, gab es nun plötzlich ein Event. Schrecklich. Das Wort ist dann noch ergänzt und verlängert worden, zu Sport-Event, Theater-Event, aber auch (!) Event-Theater, Business-Event oder Event-Gastronomie. Veranstaltungskalender wurden flugs zu Event-Magazinen. Grauenhaft. Das Wort bekommt bei meiner Sprach-Polizei lebenslänglich.
temporär
Ein Wort, das in jüngster Zeit Karriere gemacht hat. Alles ist nur noch temporär und nicht mehr zeitweise oder vorübergehend. Ich hoffe sehr, dass temporär nur vorübergehend so beliebt ist, habe aber wenig Hoffnung. Siehe Event: Was einmal da ist, lässt sich kaum wieder ausrotten.
ja
„Es ist doch ja kein anderer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine“ lautet eine Textzeile aus dem Luther-Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Sogar der große Sprachkünstler Luther verfiel dem Wörtchen ja. Damit meine ich nicht das Ja als Gegenteil von Nein, sondern das ja, das als verstärkendes Zusatzelement so vielen Sätzen beigemischt wird. „Es ist ja möglich . . .“ oder „Am Ende ist es ja besser . . .“ sind einige Beispiele dafür. Streichen, ersatzlos, immer! Ich gebe allerdings zu, dass ich mich oft beim überflüssigen Einstreuen des Wörtchens ja in meine Texte erwische.
Fellnasen
Kosewort für wahlweise Hunde (meistens), Pferde oder Katzen. In meinen Augen einfach nur blöd. Entweder wir sagen, was gemeint ist, oder wir lassen es. In die gleiche Kategorie fällt die Aufschrift Kampfkuschler oder Kampfschmuser auf Hundehalsbändern. Es soll sogar Leute geben, die ihren Hund Schmusekätzchen nennen.
Handicap
Menschen, die ein Handicap haben, spielen Golf. Andersrum: Golfer haben ein Handicap. Wer den Begriff für Menschen mit Behinderung verwendet, schickt sie zwar nicht auf den Golfplatz. Er benutzt aber einen Euphemismus. In England ist er als Bezeichnung für Behinderte verpönt, weil er an Bettler (cap in hand) erinnert.
so weit
Jede dritte Ankündigung beginnt mit dem Satz „Es ist wieder so weit“. Was bitte? Viel eleganter ist es, mit der Sache an sich anzufangen, um den Leser nicht im Ungewissen zu lassen. „Ein Fußballturnier mit Jugendmannschaft findet statt am . . . „ oder „Werke von Bach und Haydn stehen auf dem Programm, wenn das Ensemble Sowieso am soundsovielten ein Konzert gibt“.
vorbestellen, voranmelden
Was die Steigerung von bestellen und anmelden? Bestellen, vorbestellen, vorabbestellen. Anmelden, voranmelden, vorabanmelden. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
stylisch
Schick reicht nicht mehr, modern ebenfalls nicht. Es muss schon stylisch sein, um sich von allen anderen abzuheben, die vermutlich genauso stylisch sind. Streichen, streichen, streichen.
ausmerzen
Geht meiner Meinung nach gar nicht. Das ist Nazi-Jargon. Es gehört zu den zehn Stigmavokabeln, die die Bundeszentrale für politische Bildung definiert hat. Trotzdem ist ausmerzen immer wieder zu hören oder zu lesen. Ich zucke jedes Mal zusammen.
Womit wir wieder bei der Sprach-Polizei wären. Natürlich gibt es die nicht, und wenn damit jetzt das Unwort des Jahres ins Lächerliche gezogen werden soll, dann wird damit einer menschenverachtenden Sprache Vorschub geleistet. Zu Recht als rechts verpönte oder nicht sagbare Begriffe sollen als gar nicht so schlimm dargestellt werden, als zu Unrecht verboten. Deshalb ist das Bild von der Sprach-Polizei natürlich blanker Unfug. Aber darum ging es hier gar nicht. Vielleicht doch noch ein kleines, verschämtes Ja einfügen? „Aber darum ging es hier ja gar nicht.“ Ach was. Streichen!
2 Kommentare
Frank
Ich kann jedem nur das Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“ von Victor Klemperer empfehlen.
https://de.wikipedia.org/wiki/LTI_%E2%80%93_Notizbuch_eines_Philologen
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