Nicht E und nicht U: Der neue Kulturblick (#kultblick) im Feuilleton
Kultur kommt von Kultura und das heißt übersetzt Bearbeitung, Pflege oder Ackerbau. So sagt es die Wikipedia. Heißt im weitesten Sinn: Alles, was der Mensch selbst hervorgebracht hat, im Gegensatz zur nicht veränderbaren Natur. Nun wissen wir längst, dass Gewalt, Krieg und Unterdrückung vom Menschen hervorgebracht werden, aber alles andere als Kultur sind, höchstens Unkultur. Auch wissen wir, dass Natur nicht vom Menschen unveränderbar ist. Was ist also heutzutage Kultur und wie ist unser Blick darauf. „Mein Kulturblick“ heißt die #kultblick-Blockparade des Archäologischen Museums Hamburg. Dafür blicke ich mal auf die Kultur, speziell auf die in der Zeitung.
Als Journalistin ist Kultur für mich einerseits etwas, das mich begeistert, andererseits das Feuilleton. Also die Berichterstattung über Kultur, sei es bildende Kunst oder Musik, Theater oder Literatur. Mittlerweile wird der Kulturbegriff im Feuilleton deutlich weiter gefasst, als noch vor einigen Jahren, was den Seiten mehr Interesse beschert. Der bissige Spruch von der „toten Musik für halb tote Zuhörer“ ließ sich prima aufs Feuilleton übertragen: tote Kultur für halb tote Leser. Oder anders ausgedrückt: Nichts wurde so wenig gelesen wie die Feuilleton-Seiten. Schon in Vor-Internet-Zeiten gab es Instrumente, das zu messen.
Dieses geringe Interesse war kein Wunder, war doch für die Alt-Feuilletonisten alles außerhalb der Kulturtempel (Konzertsaal, Theater, Museen) keine Kultur im Sinne von „darüber berichten wir“. Ich erinnere mich noch an einen Freiluft-Auftritt von Monserrat Caballé mit tausenden von Zuhörern, über den die Kultur nicht berichtete, weil er draußen stattfand, auf einem öffentlichen Platz. Das ist mehr als zehn Jahre her und würde heute kein Feuilletonist mehr wagen. Aber es verdeutlicht sehr schön die Haltung, die damals herrschte. Die Weigerung zu berichten, bezog sich nicht nur auf Kultur außerhalb der Kulturtempel, sondern auch auf Rock- Beat- und Popmusik. Jazz war gerade noch so wohlgelitten. Alles für die E-Musik (und die E-Kultur), nichts für die U-Musik (und U-Kultur).
Dann begannen die Medien, die Kulturberichterstattung zu beackern. Sie zu pflegen und zu bearbeiten, sie flotter, lustiger, weiter zu machen. Erst entwickelten die Redakteure einen neuen Blick auf die Kultur, und damit bekamen auch die Leser einen neuen Blick auf die Kulturseiten. Nicht nur die Heroen der Popmusik bekamen dort einen Platz, sondern auch Comics, philosophische Betrachtungen, die Kultur der Werbung, des Internets, sämtlicher neuer Formen des Kulturbegriffs. Damit fand das Feuilleton neue Leserschichten. Auf dass der alte Kalauer eines Kollegen nicht mehr gilt: „Ich lese erst das Lokale, dann die Politik, den Sport und die Wirtschaft.“ „Und dann?“ „Dann ziehe ich mir die Hose hoch.“
Im modernen Feuilleton kommt aber noch etwas anderes hinzu, was das Lesen unterhaltsam und die Seiten interessant macht: gute Schreiber. Der betuliche Inhalt früherer Kulturseiten ging einher mit einem ebenso betulichen Schreibstil. Das hat sich grundlegend geändert. Bei manchen Autoren heißt es: Egal, worüber sie schreiben – lesen! Das gilt etwa für Imre Grimm, der mehr über Medien als für die Kultur schreibt, aber auch Medien sind letztlich Kultur. Als wunderbares Beispiel für einen hervorragenden Text, der sich obendrein mit der „philharmonischen Andacht“ und deren Schattenseiten beschäftigt, lege ich allen Lesern das Abschied vom Hochamt ans Herz.
6 Kommentare
Tanja Praske
Liebe Susanne,
auch dir ein herzliches Dankeschön für den herrlichen #Kultblick, der zurückblickt ins Feuilleton von vor X Jahren – herrlich das Zitat zur Hose! – bis zur Jetztzeit. Auch hier gibt es viele (W)irrungen, aber auch viel Bereicherung – danke für diesen Einblick. Die Lesetipps schaue ich mir noch in Ruhe an.
Ich war gerade 2 h anders eingebunden, gehe an den Desktop und finde drei sehr unterschiedliche und absolut fantastische Kulturblicke vor – mittlerweile gibt es 50 Beiträge zur Blogparade. Die Gedankentiefe begeistert mich restlos – danke an alle dafür!
Sonnige Grüße
Tanja Praske
Katrin Schröder
Liebe Susanne,
ein ganz herzliches Dankeschön für diesen journalistischen Kultblick auf das Feuilleton! Wir freuen uns über so viele facettenreiche Blogbeiträge! Grandios!
Merci dafür!
Katrin Schröder, Archäologisches Museum Hamburg
Susanne
Liebe Katja, liebe Tanja,
habt Dank für Eure ausführlichen und wohlwollenden Kommentare. Es hat Spaß gemacht, sich mal in die Geschichte der Feuilleton-Berichterstattung, so wie ich sie erlebt habe, zu begeben.
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