Müssen Statuen fallen? Und welche?
Ich bin hin und hergerissen. Ich beobachte, wie im Zuge der Proteste gegen Rassismus Statuen gestürzt, geköpft, mit Farbe besprüht werden. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll. Gerechtfertigt, weil die Dargestellten üble Burschen waren (so weit ich weiß ist bisher ist noch keine Frau vom Sockel gestürzt worden)? Oder eine Form von Bilderstürmerei, die ich nicht haben möchte.
Bilderstürmerei ist mir zuwider. Was gibt Menschen das Recht, Kunstwerke auf immer zu zerstören, weil ihnen das darauf Dargestellte, die Form der Darstellung oder der damit verfolgte Zweck nicht passen? Bilderstürmerei ist für mich nichts anderes als Bücherverbrennung. Genauso wie das Entfernen von Gedichten, weil eine Gruppe sie für sexistisch hält. Dieser moralische Rigorismus stößt mich ab. Außerdem: Wie sollen sich Menschen eine Meinung über Kunstwerke bilden, wenn sie nicht mehr da sind oder nicht mehr gezeigt werden?
Wer kommt noch an die Reihe?
Gerade sehen wir, wie in den USA, und nicht nur dort, Statuen vom Sockel gestoßen werden. Grund sind die Taten derer, die mit den Denkmälern gewürdigt werden sollten. Es sind Sklavenhalter und Kolonialherrscher, aber nicht nur. Sogar Kolumbus musste schon dran glauben, und Karl Marx ist auf seinem Sockel nicht mehr sicher. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele jetzt die Gelegenheit sehen, sich der öffentlichen Darstellungen derer zu entledigen, die ihnen schon immer ein Dorn im Auge waren.
Wenn es danach geht, wer Rassist, Sexist, Antifeminist, Militarist oder was auch immer war, bliebe vermutlich kaum noch ein Denkmal übrig. Addieren wir dann noch die Bilder in Museen dazu, die Gedichte, die aus dem öffentlichen Raum beseitigt werden sollen oder müssen, weil ihr Inhalt angeblich oder wirklich frauenverachtend oder auf sonst eine Weise nicht mehr zeitgemäß ist, bleibt von unseren Kulturschätzen bald nichts mehr übrig. Wo fängt das an, wo hört das auf? Muss die Luther-Statue vor der Dresdner Frauenkirche fallen, weil er sich antisemitisch geäußert hat?
Gute und schlechte Bilderstürmer
Was ist, wenn sich die Definition von dem, was genehm ist, ändert, wie es seit jeher geschehen ist? Denkmäler, Gemälde, Gedichte, Bücher sind immer auch Zeugnisse ihrer Zeit. Ihre Bewertung ist stets auch an Religion, eigene Interessen, gesellschaftliche Störmungen und das Wissen einer anderen Epoche geknüpft. Siehe die Denkmalstürze, die der IS während seiner Herrschaft begangen hat? Auch die IS-Kämpfer glaubten sich im Recht für eine bessere Welt. Statuen sind schnell gestürzt. Wenn sie einmal weg sind, kommen sie nicht zurück.
Noch etwas anderes gibt es meiner Meinung nach zu bedenken. Die Gruppen, die Statuen umreißen, sind in dem Moment des Sturzes in der Mehrheit. Aber sind sie die Mehrheit der Gesellschaft? Ich wünsche mir, dass das Beseitigen oder Umgestalten von Denkmälern demokratisch entschieden wird, nicht von Demonstranten in einer aufgeheizten Situation. Erst denken und diskutieren, dann stürzen.
Ein Sturz als Aufschrei
Statuen müssen nicht grundsätzlich stehen bleiben, bloß weil sie Zeitzeugnisse sind. Sonst hätten die Denkmäler von Hitler, Stalin, Lenin und Sadam Hussein stehen bleiben müssen, die Adolf-Hitler-Straßen nicht umbenannt werden dürfen. Manches Hakenkreuz wurde nach dem Krieg geschickt verschleiert. Das Schleifen von Denkmälern, das hat die Zeit von 1989/1990 gezeigt, ist oft auch ein Aufschrei der Unterdrückten und ein Zeichen für einen Aufbruch. Dass der nicht immer in eine bessere Zukunft führte, ist mancherorts erst später sichtbar geworden.
Wie gesagt, ich bin hin und hergerissen. Einerseits bin ich gegen Bilderstürmerei, egal, ob es nun Bilder, Statuen oder Bücher sind. Andererseits kann ich gut verstehen, dass Statuen von Sklaventreibern, Militaristen und Ausbeutern vielen ein Dorn im Auge sind. Wobei ich meine Zweifel habe, ob sie tatsächlich noch so genau wahrgenommen werden, wie manche glauben. Wie oft bin ich am Lübecker Bahnhof an einem Mann auf einem stolzen Ross vorbeigegangen, ohne zu wissen, wer das ist und warum er da sitzt.
Denkmäler gegen Denkmäler
Lassen wir ihn doch sitzen, egal, was er getan hat. Mein Vorschlag: Reagieren wir auf Denkmäler von bösen Buben mit Denkmälern für deren Opfer. Setzen wir einer missliebig gewordenen Erinnerungskultur die entgegen, die auf das Leid verweist. Man kann das eine tun, ohne das andere zerstören zu müssen. Zumal die Denkmäler manchmal Kunstwerke sind wie die von dem Bildhauer Ernst Rietschel geschaffene Statue von Martin Luther vor der Dresdner Frauenkirche (Foto oben). Und Kunst ist frei.
4 Kommentare
Redaktion42
Sehr gute Gedanken. Was ist mit Napoleon, der Europa in Schutt und Asche gelegt hat? Oder was ist mit Richard Wagner, der ein klarer Antisemit war? Ganz, ganz schwere Entscheidungen.
Susanne
Jetzt ist sogar schon Immanuel Kant gefährdet. https://www.deutschlandfunkkultur.de/antirassistischer-denkmalsturm-auch-der-philosoph-immanuel.1013.de.html?dram:article_id=478593 Langsam wird mir das unheimlich. Wo ist die Grenze und gibt es überhaupt historische Persönlichkeiten, die es allen Recht machen konnten/können. Am Ende ist wirklich unsere gesamte Kultur ausgelöscht, wenn das nicht bald wieder in vernünftige Bahnen kommt.
Horst Schulte
Ich bin entschieden der Meinung, dass dieser Vandalismus in Teilen durchaus mit den Bücherverbrennungen der Nazis vergleichbar ist. Die Motive sind andere, aber die Wirkung ist schon sehr ähnlich. Mich entsetzt es, was Menschen sich im Namen der guten Sache herausnehmen und wie wenig Bewusstsein für diese Taten dabei entwickelt wird. Warum tun die das? Weil sie’s können.
Denkmäler sollen nicht „zeitgemäß“ sein, sie sollen erinnern. Wenn wir anfangen, unsere Kultur und Geschichte zu negieren, in dem wir Denkmäler umstürzen, ändern wir für unsere Zukunft und Gegenwart leider nichts. Wir brauchen die „Konfrontation“ mit unserer Geschichte. Dass jetzt auch Spielfilme aus den Streaming-Angeboten herausgenommen werden, weil sie rassistische Tendenzen offenbaren, gehört natürlich mit zu diesem Irrsinn. Ich habe gesehen, dass eine Bismarck-Statue mit blutroter Farbe beschmiert wurde. Über Bismarck mag man denken, was man will. Es gäbe gewiss viele kritische Anmerkungen zu machen. Aber weil wir gerade in der Corona-Zeit leben: Wer hat dafür gesorgt, dass es in Deutschland überhaupt ein Sozialsystem gibt? Ja, ich weiß, die Linken haben es ihm abgetrotzt. Dennoch, er hats in diesem Staat etabliert. Das scheint seinen „Fans“ alles shitegal. Aber vielleicht macht diese Handlungsweise auch nur klar, dass viele dieser Menschen einfach nur dämlich und verblendet sind und das Ausmaß ihres Tuns weder überlegen noch irgendwie verstanden haben.
Susanne
Ich hätte es – siehe mein Post – nicht so drastisch formuliert, aber in weiten Teilen hast Du Recht. Den Schlenker über die Spielfilme habe ich mir geschenkt, aber auch dort ist diese Tendenz zu beobachten. Was die einen im Sinne einer in ihren Augen gerechten Sache tun, ist richtig, tun andere das, ist es plötzlich falsch. Oder andersrum. Genau wie Dich stört mich, dass sich einige das Recht herausnehmen, angeblich im Sinne alle oder eben der guten Sache Statuen zu zerstören. Die, die das nicht wollen, werden nicht gehört und haben keine Chance, ihre Argumente vorzubringen. Alles sehr schwierig.