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Matthäus-Passion: Verbeugung vor einem unbekannten Dichter

„Text gibt es an der Kasse“ lautet ein alter Witz von Kirchenmusikern, wenn es um die Aussprache des Chores beim Singen geht. Natürlich steht bei kirchenmusikalischen Werken die Musik im Vordergrund. Aber auch der Text hat seine Reize. Gerade übt unser St.-Johannes-Chor Kücknitz die Matthäus-Passion von 1746 von Georg Phillip Telemann. Wunderbare Musik, unterlegt mit sehr kreativen Texten. Aber wer sie schrieb, liegt im Dunkel der Geschichte verborgen.

Jeder kennt die großen Komponisten, ob von Opern oder Oratorien. Ihre Namen haben bis heute in der Musikwelt einen überragenden Klang. Während bei Opern oft auch noch der Name des Librettisten, also des Textdichters, bekannt, vielleicht sogar berühmt ist, sind die Oratoriendichter häufig unbekannt. Wenn es denn Dichter gibt. Bei Messen gibt es den feststehenden Text der lateinischen Messen mit Kyrie, Gloria, Sanctus und so weiter. Auch vielen Oratorien liegen Worte der Bibel zugrunde. So ist es auch streckenweise bei der Telemann-Passion.

Ihr liegt der reine Text des Matthäus-Evangeliums aus dem Neuen Testament zugrunde. Das gilt für alle Choreinwürfe und die Texte des Evangelisten, die Jesusworte usw. Freie Dichtung sind nur Chorstellen, Arien und Choräle. Was gibt es da allein in den Chorstellen für wunderbare Formulierungen:

„Das Sterben schreckt nur schwache Geister
ich will dich in den Tod begleiten
sonst wär ich nicht würdig
dein Jünger zu sein.“

„Reiche deinem schwachen Kinde
das auf matten Füßen steht,
deine Gnadenhand geschwinde,
bis die Angst vorübergeht.“

„Wehe, Aufruhr, eilet helfet,
wehe Aufruhr, eilet helfet!
Es empört sich ein Haufen
verwegener Knechte,
legt an den Gesalbten des Höchsten die Hand,
sie treten mit Füßen
die heiligsten Rechte,
sie zerreißen voll Frevel
das heiligste Band.“

Telemann hatte die Aufgabe, als Director Musici von Hamburg jedes Jahr eine Passionsmusik zu schreiben, die er in seiner 46-jährigen Dienstzeit in Hamburg auch treu erfüllt hat. 26 davon sind noch erhalten. Alle diese Einlagen der freien Dichtungen wurden zum Zweck der dramatischen Erhöhung der Passionen eingeführt. Sie kamen dadurch deutlich in die Nähe der Oper. Daneben hat Telemann aber ebenfalls noch einige Passionsoratorien geschrieben, die nur auf freier Dichtung beruhen, wie zum Beispiel „Der Tod Jesu“ oder das „Selige Erwägen“. Diese durften damals nicht in den Hamburger Kirchen aufgeführt werden, da sie keine Bibelworte enthielten. Telemann hat sie dennoch im Konzerthaus aufgeführt.

Wer aber war nun der Autor der freien Textstellen in der Matthäus-Passion von 1764? Darauf gibt es leider keine Antwort. Auch die Magdeburger Telemanngesellschaft konnte nicht weiterhelfen. Sie antwortete auf eine Anfrage:

„Die Namen der Autoren der freien Dichtung in den Passionen Telemanns sind nur in Ausnahmefällen bekannt, da sie auf den Titeln der zur den Aufführungen der Passionen entstandenen Textdrucke nicht mitgeteilt werden. Gelegentlich kann man sie aus anderen Zusammenhängen erschließen, für die Passion von 1746 ist dies gegenwärtig noch nicht gelungen.“

Wir werden also unseren 1746er Telemann aufführen, ohne eine Idee davon zu haben, wem wir die schönen Textzeilen zur Musik zu verdanken haben. Das ist schade, denn ich finde die Texte sehr gelungen. Der Autor setzt das, was er sagen möchte, mit der passenden Wortmelodie um. Die Musik des Textes korrespondiert wunderbar mit der Musik Telemanns, und nur manchmal verknoten sich die Zungen der Sänger bei der Textverteilung. Lieber unbekannter Textdichter: Den Halbsatz „nun lüstet’s ihn“ hättest du anders formulieren müssen, das ist kaum ohne Stolpern zu singen. Aber sonst hast du deine Aufgabe wirklich gut gemacht.

Nachtrag: Ich habe mich inzwischen eines besseren belehren lassen: „lüstet’s ihn“ ist der Bibeltext von Matthäus 27,43, allerdings in barocker Diktion. Der Zungenbrecher ist also nicht dem unbekannten Dichter anzulasten.

Ich danke meinem Mitchoristen Hartmut Schütt für die Mitarbeit an diesem Text. Als Mitglied der Telemanngesellschaft hat er die Recherche geleistet.

Die Telemann-Passion führt der St-Johannes-Chor am Sonntag, 22. März 2015, um 17 Uhr in St. Johannes in Lübeck-Kücknitz auf.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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