E-Mail statt Briefe: Was bleibt davon?

Füllfederhalter auf alter Schrift.

Jahrhundertelang haben die Menschen ihre Gedanken auf Papier festgehalten und der Nachwelt hinterlassen. Sie sind heute ein wertvoller Quell für die Forschung und mitunter beliebter Lesestoff. Aber was bleibt, wenn Briefe, Gedanken und Erkenntnisse nur noch digital festgehalten werden?

Es ist der Klassiker bei jeder Grundsteinlegung: Unter dem zukünftigen Gebäude wird eine Kassette mit typischen Dingen der Zeit eingemauert. Darin liegen üblicherweise ein paar Münzen und eine Tageszeitung vom Tag der Grundsteinlegung. Und neuerdings manchmal eine CD oder ein USB-Stick mit Informationen zur Zeit und der aktuellen Politik. Aber was ist, wenn CD und USB-Stick irgendwann in 100 oder 200 Jahren nicht mehr gelesen werden können, weil es dafür keine Geräte mehr gibt. Man stelle sich nur mal vor, vor 30 oder 40 Jahren wäre eine Floppy Disc mit eingemauert worden.

Ganz anderes Thema, aber irgendwie hat es doch damit zu tun. Johann Wolfgang von Goethe hat seiner Freundin und Geliebten Charlotte von Stein im Laufe der Jahre an die 1880 lange Briefe geschrieben. Sie sind heute als Buch erhältlich* und gelten als die schönsten, aber auch ungewöhnlichsten Liebesbriefe der Welt. Ebenso berühmt ist der Briefwechsel zwischen Descartes und Elisabeth von der Pfalz aus den Jahren 1643 bis 1649. Auch Voltaire und Friedrich II. der Große tauschten sich intensiv über Briefe aus. Nun liegt es bei Voltaire und Friedrich nahe, dass zwei schon zu Lebzeiten bedeutende und wichtige Männer ihre Briefe aufbewahrten. Vielleicht war das auch bei Goethe und Frau von Stein und bei Descartes und Elisabeth von der Pfalz so.

Viele unbeantwortete Fragen zu Briefen

Wobei mir immer nicht ganz klar ist, wie diese Briefwechsel gesammelt worden sind. Denn Briefe gehen hin und her. Um aber ein vollständiges Bild zu bekommen, müssten die jeweils abgesandten Briefe noch einmal kopiert worden sein, um hinterher eine vollständige Sammlung zu haben. War die Aufgabe des einen oder des anderen Briefschreibers? Haben die sich vorher abgesprochen? Und wenn die Erben die Briefe im Nachlass gefunden haben, lagen dort auch die jeweiligen Gegenstücke? Und ab wann wussten Briefschreiber, dass ihre schriftlichen Nachrichten irgendwann für die Nachwelt wichtig sein würden? Ist Goethe davon ausgegangen, dass seine Liebesbriefe auch Jahrhunderte später noch die Menschen interessieren? Fragen, auf die ich keine Antwort habe.

Und jetzt stellen wir uns mal vor, zwei Menschen, deren Bedeutung sich erst später herausstellt, pflegen einen intensiven Austausch per E-Mail. Wer schreibt heute noch Briefe oder Tagebücher? Mails und Blogs haben sie längst abgelöst. Wie also sollen Brief- oder Tagebuchsammlungen in Form von E-Mails und Blogs erhalten bleiben? Vielleicht in dem sie später als Buch herausgegeben wurden wie das Blog „Arbeit und Struktur“* von Wolfgang Herrndorf.

Wie werden digitale Briefe für die Ewigkeit erhalten?

Aber was, wenn Sender oder Empfänger regelmäßig ihr E-Mail-Postfach aufräumen? Und falls nicht: Wie lange bleiben die Mails erhalten. E-Mail-Archivierung ist, so weit ich das sehe, bisher eher ein Feld für etwa für Firmen oder Behörden, die das für die pflichtgemäße Aufbewahrung von Unterlagen benötigen. Dafür gibt es die GoBD, die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form.

Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Intellektuelle, die heute noch intensive Briefwechsel pflegen, diese digitalen Briefe in irgendeiner Form archivieren. Immerhin ergibt sich dabei nicht das Problem von früher, dass Sender und Empfänger immer nur eine Hälfte der Briefe in ihrem Besitz haben (falls die nicht vor dem Abschicken kopiert wurden). Cloud-Archivierungen könnten ein Weg sein, um elektronische Aufzeichnungen dauerhaft zu erhalten. Wenn es denn in 100, 200 oder 300 Jahren noch Clouds gibt und sie nicht den Weg der Floppy Disc gegangen sind. Was ich für unwahrscheinlich halte. Aber welche Speichermöglichkeiten es dann gibt, können wir uns heute sicher noch nicht vorstellen.

Auch Tagebücher sind digital

Auch Tagebücher können wichtige Zeitzeugnisse sein. Es gibt genug berühmte Beispiele. Diese Bücher werden heute von vielen sicher nicht mehr mit der Hand, sondern mit der Tastatur geschrieben. Es gibt sogar Tagebuch-Apps dafür. Neudeutsch heißt das Schreiben dort digital Journaling. Beiträge, die in den Apps geschrieben werden, werden je nach Anbieter in Clouds gespeichert. Für dauerhafte Archivierung müsste aber auch die auf Dauer angelegt sein. Siehe oben.

Vielleicht gibt es obendrein noch ein ganz profanes Problem. Angenommen ein großer Geist stirbt und seine Erben oder Wissenschaftler wollen seinen digitalen Nachlass sichten und editieren. Kennen sie das Passwort für Laptop und möglicherweise Dateien? Ich gehe mal davon aus, dass solche Menschen ihren digitalen Nachlass geregelt haben. Aber wer weiß?

Das alles sind Gedanken, die mir immer mal wieder kommen, wenn ich von bedeutenden Tagebüchern oder Briefwechseln lese. Ich bin sicher, dass sich auch andere, bestimmt auch Wissenschaftler über so etwas Gedanken machen. Über Lösungen des Problems habe ich allerdings nichts gefunden. Vielleicht weiß irgendjemand da draußen mehr darüber.

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