Bachkantate: Darf man den Text verbessern?

Heute ist Sonntag, heute war Gottesdienst, Kantatengottesdienst. Mein St.-Johannes-Chor hatte bei einer Bachkantate auch ein bisschen was zu singen. Nein, mir war ganz und gar nicht langweilig. Dennoch sind mir im Gottesdienst ein paar Gedanken durch den Kopf gegangen. Überlegungen, wie man mit Text umspringen, wie viel Wahnsinn im Bemühen um gerechte Sprache stecken kann und dass Bach ein Realist war.


Beginnen wir mit dem Realisten. Der Titel der Bachkantate „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“ (BWV 18) hätte nicht besser gewählt sein können. Kälte, Schnee, Schlappschnee und Regen begleiteten mich an diesem Sonntag Sexagesimae auf meinem Weg zur Kirche. Der olle Bach hatte offenbar hellseherische Fähigkeiten, er wusste anno 1715 in Weimar, wie das Wetter 2018 in Norddeutschland an diesem Sonntag sein würde.

Textzeile entschärft

Genug übers Wetter gealbert. Die Kantate wurde mit Originalnoten, aber nicht mit dem Originaltext aufgeführt. Der Organisator und Flötist der Aufführung, Hartmut Schütt, hat eine Textzeile des Textes von Erdmann Neumeister verändert.

Im Original lautet sie:

Und uns für des Türken und des Papsts
grausamen Mord und Lästerungen,
Wüten und Toben väterlich behüten.

Hartmut Schütt hat daraus gemacht:

Und uns vor der Feinde und Verfolgern
Mord und Lästerungen,
Wüten und Toben väterlich behüten.

Schütt begründet sein Vorgehen mit zweierlei: Dem Papst habe er keine Morde vorwerfen wollen und die Sache mit den Türken sei ihm zu aktuell vorgekommen.

Offenbar haben auch andere mit der Textzeile ihre Probleme. Im Internet habe ich eine alternative Variante von Pamela Dellal gefunden:

Und uns für des Feindes und Satanas
grausamen Mord und Lästerungen,
Wüten und Toben väterlich behüten.

Darf man so mit Texten umgehen? Texten der Kultur, die in einem ganz anderen Kontext und zu einer anderen Zeit entstanden sind? Steht es uns zu, in Kunstwerken früherer Zeiten herumzufummeln? Ist das unzulässige Zensur, Bilderstürmerei, lässliche Sünde oder gar Pflicht, um niemanden zu verletzten? Ist das Ändern einer Textzeile gleichzusetzen mit dem Übermalen eines angeblichen sexistischen Gedichtes von Eugen Gomringer an der Wand der Berliner Alice-Salomon-Hochschule? Wohlgemerkt eines Gedichtes, in das man den angeblichen Sexismus erst hineinlesen muss. Sind ein paar alternative Worte dasselbe wie das Abhängen eines Bilder mit nackten Nymphen in der Manchester Art Gallery?

Die eine Textzeile tut nicht weh, weder wenn sie im Original geblieben wäre noch wenn sie geändert wird. Aus einer Bachkantate spricht zunächst die Musik, der Text ist zweitrangig. Die „Schnee-Kantate“ ist nicht die einzige, die einen seltsamen Text hat, das kommt bei Bach öfter vor, ebenso wie bei anderen Komponisten. Eine Zeile verdient keine Aufregung, meistens ist sie in der Aufführung sowieso nicht zu verstehen. Warum sie also nicht ein bisschen entschärfen, zumal diese Änderung auf dem Begleitzettel nicht kenntlich gemacht wurde? Die wenigsten Zuhörer dürften überhaupt etwas davon mitbekommen haben. Andererseits: Wo fängt es an, wo hört es auf? Und wer entscheidet darüber?

Bitte keine Bilder stürmen

Anders als bei der Zeile in der Bachkantate sehe ich die Sache beim Gedicht und beim Gemälde. Das sind einschneidende Zensurmaßnahmen, die bei der Kunst unterbleiben müssen. Wo kommen wir hin, wenn selbst ernannte Zensoren wegen angeblicher Befindlichkeiten hingehen und Bilder stürmen oder Texte übermalen lassen? Die Bewertung von Kunst und Literatur aus nicht künstlerischen Beweggründen hat hierzulande einen schlechten Beigeschmack. Wollen wir wieder Bücher verbrennen? Bestimmt nicht.

Ich lese gerade „Erwachsenensprache – Über ihr Verschwinden in Politik und Kultur“ von Robert Pfaller. Der Philosoph vertritt die Auffassung, der von ihm sogenannte kulturelle Narzissmus verkenne die Trennung zwischen dem privaten und dem urbanen Raum. Der Autor gesteht den Empfindlichen zu, im privaten Raum ihren Empfindlichkeiten zu frönen. Im öffentlichen Raum habe man unpersönlich zu agieren, also mit Argumenten zu kommen, nicht mit Befindlichkeiten. „Dass es auch Räume gibt, die nicht nach dem Prinzip ,Du oder ich‘ strukturiert sind, sondern etwas Drittes, Allgemeines für den zivilisierten Austausch und die Entwicklung dieser Individuen Geeignetes, kann und will dieser Narzissmus nicht wahrhaben“, schreibt Pfaller.

Ein solcher Raum für alle ist für mich auch eine Kirche. Natürlich entsprechen nur die wenigsten biblischen und kirchlichen Texte heutigen Ansprüchen an gerechte Sprache oder gleichwertige Bezeichnungen von Männern und Frauen. Wohin die meiner Meinung nach verkrampften Versuche führen können, das zu ändern, hat die heutige Predigt bewiesen. Als die Pastorin von den „zwölf Jüngerinnen und Jüngern“ sprach, musste nicht nur ich schmunzeln.

Vor solcherlei Fallen ist mittlerweile kaum noch jemand gefeit, der sich um das Gendern von Sprache bemüht. Die ach so falschen Mitglieder und Mitgliederinnen kommen immer öfter vor. Bei diesem Tweet hier musste ich aber laut auflachen.

3 Kommentare

  1. Als Mitsänger im Chor hat mich die Textänderung im „Probelauf“ vor dem Gottesdienst auch zunächst etwas verwirrt, und ich machte meinem Nachbarn gegenüber die Bemerkung, sie sei offenbar durch Intervention der türkischen Botschaft erfolgt. Ich hätte auch eine Beibehaltung des Originaltextes mit entsprechender Kommentierung im Begleitblatt bevorzugt – ein bißchen Verständnis des historischen Zusammenhangs kann ja nicht schaden. Trotzdem – längst nicht so schlimm wie die zensorische Streichung des „Negerkönigs“ bei Pippi Langstrumpf, der ja keineswegs rassistisch, sondern durchaus als Sympathiefigur gemeint war. Wir machen uns unnütz das Leben schwer.

    1. Lieber Jörg-Peter, ganz meine Meinung. Schlimm ist diese kleine Änderung nicht, aber auch ich hätte mir einen Hinweis im Gottesdienstzettel gewünscht. Vielleicht hätte die Diskussion dazu dann nicht ausschließlich hier, sondern auch beim Kirchenkaffee geführt werden können.
      Liebe Grüße, Susanne

  2. Als Dirigent dieser Kantaten-Aufführung habe ich die kleine Textänderung zur Kenntnis genommen, mehr aber auch nicht.
    Denn es wurde an der Komposition nicht eine Note geändert, wir wollten keine CD-Aufnahme machen wo die original-Fassung und im CD-Heft einen wissenschaftlichen Beitrag erwartet werden.
    Es war auch kein großes, überregionales Konzert, es kam nicht im Fernsehen. Es war lediglich ein Gottesdienst in einer Vorstadtkirche.

    Dennoch bin auch ich prinzipiell gegen jegliche Änderungen an Musik oder Text.
    Lied 193 im evangelischen Gesangbuch fängt an mit: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“. Ursprunglich ging es auch hier weiter mit: „und steur des Papsts und Türcken mord“.

    Diese und ähnliche Texte muss man unbedingt in der damaligen Zeit betrachten: Luther war bei der ersten Wiener Türkenbelagerung knapp 46 Jahre alt; diese zwei Belagerungen waren keine Ereignisse für sich, sondern die Höhepunkte einer ständigen türkischen Anwesenheit in der Region. Berichte über Greueltaten gibt es zuhauf, die Angst vor den Türken muss enorm gewesen sein.

    Zu Mozarts Zeit hatte die Türkei ein ganz anderes Ansehen (türkische Bäder!) oder man denke an den Schlußteil seiner A-Dur Klaviersonate: „alla turca“ !
    Auch bei Haydn, Beethoven und andere Komponisten findet man Beispiele von „Janitscharenmusik“.
    Heute hat die Türkei wieder einen ganz anderen Status in der Welt.

    Zurück zum Lied EG 193: die Textstelle hat man geändert in: „und steure deiner Feinde Mord“. Auch nicht gerade zeitgemäß: wer sind heutzutage unsere Feinde die auch noch umgebracht werden sollen?!
    Wenn man anfängt, solche Zeilen zu ändern, nähme das gar kein Ende mehr und das Kunstwerk verändert sich mehr und mehr.

    Über dieses Thema gibt es einen Beitrag von Eva Grunenberg: „Zensur ist zu einfach“, Lübecker Nachrichten vom 21. Februar 2018

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