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Struktur und strukturelle Probleme – Das Überall-Wort

Wir haben es, das ist unzweifelhaft, mit so vielen strukturellen Probleme zu tun, dass wir strukturell schon völlig überstrukturiert sind (Ironie off). Wer sich auf Social Media umguckt, der kann nicht umhin festzustellen, dass strukturelle Probleme eine der größten Herausforderungen sind. So viel strukturell Böses, das gibt’s doch gar nicht.

Was so alles unter dem Oberbegriff strukturelle Probleme zusammengefasst wird: strukturelle Polizeigewalt (gerade am häufigsten beklagtes Strukturproblem), strukturelles Patriarchat (der Dauerbrenner), strukturelle Diskriminierung (werden hier die Strukturen diskriminiert?), strukturelle Gewaltmonopole (gern auch in urdemokratischen Staaten wie unserem beklagt) und zur Lösung all dieser Dinge am besten noch strukturelle Konsequenzen.

Dann wäre da noch die strukturell sexistische patriarchale Gesellschaft. Gewalt von Männern an Frauen soll grundsätzlich strukturell bedingt sein. Ich dachte immer, Männer, die ihre Frauen schlagen, sind Arschlöcher, nichts anderes. Aber vermutlich bin ich nur zu dumm um zu verstehen, dass einzig die Gesellschaft sie zu diesen Arschlöchern gemacht haben soll.

Ein Wort macht Karriere

Wann hat das Wort strukturell begonnen, eine so steile Karriere zu machen? Strukturell ist zunächst nichts anderes, als etwas, das eine Struktur aufweist. Struktur lässt sich kurz und knapp als Gefüge oder innerer Aufbau übersetzen. Eines der Gegenteile von strukturell wäre interaktionell, also aus Interaktionen heraus begründet. Dann ist es nicht die Gesellschaft, die schlägt oder diskriminiert, sondern der einzelne, der seinem Gegenüber eine runterhaut oder es abwertet. Die Vertreter der Struktur-These beklagen dagegen, dass Motive viel zu oft individualisiert werden. Aber sind sie das nicht meistens? Und ist das Berufen auf Strukturen nicht auch eine Methode, einzelne zu entlasten?

Auf das Individuum zu schauen ist aber gerade nicht in Mode. Damit, finde ich, machen es sich viele zu einfach. Schnell wird ein strukturelles Problem angeführt, wenn etwas schief läuft. Macht die Sache doch so einfach: Sollen sich doch die drum kümmern, in deren Reihen das vorgekommen ist. Schönes Beispiel ist gerade die Polizei. Ja, es gibt Polizeigewalt, aber es gibt weit mehr, sogar die ganz große Mehrheit der Polizeibeamten, die ihre Dienst so ausfüllen, wie es sein soll und wie wir es als Gesellschaft erwarten. Aber dem Polizeiapparat wird vorgehalten, die Probleme seien strukturell und deshalb einzig von ihm selbst zu verantworten und zu lösen.

Ohnmacht der Institution

Vielleicht lässt sich aber selbst in einer noch so gut strukturierten Organisation nicht verhindern, dass einzelne ausscheren, sich daneben benehmen, rassistisch reagieren, überzogene Gewalt anwenden. In jedem Betrieb, jeder Organsiationen arbeiten Menschen, und Menschen sind fehlbar. Dann jedes Mal wie ein Mantra zu rufen, dass es keine Einzelfälle sind, sondern dass strukturelle Gewalt (wahlweise Diskriminierung, Sexismus, Rassismus) der Grund ist, ist mittlerweile ein Reflex. Was ändert sich dadurch? Nichts.

Vielleicht müssen wir den Blick etwas weiten. Sind es nicht immer mehrere Ursachen, die zu Gewalt, Diskriminierung, Sexismus führen? Ja, es können die Strukturen sein. Aber das ist es nicht zwangsläufig. Jede Gruppe hat ihre Arschlochquote. Die wird es immer geben, und ihr Prozentsatz soll, so hat es mir mal ein Fachmann erklärte, immer um die sieben, acht Prozent liegen. Egal, welche Maßnahmen gegen das Verhalten dieser Menschen ergriffen werden, ob Druck oder Beratung oder Therapie. Vielleicht ist die These vom Einzelfall eben doch nicht so abwegig. Das will aber gerade keiner hören. Schieben wir doch lieber alles auf die struktuellen Strukturen.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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