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Ertöt uns – seltsamer Text zu schöner Musik

Musik ist das eine, der Text dazu oft das andere. Nicht nur heutzutage gibt’s dämliche oder unverständliche Texte zu guter Musik, das war früher nicht anders. Beispiel Bach: In seiner Kantate „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“ (BWV 22) kommt die Aufforderung „ertöt uns“. Und auch sonst gibt der Text Rätsel auf.

Der St.-Johannes-Chor Kücknitz, in dem ich singe, hat die Kantate gerade aufgeführt. Zum Glück mit einem Alternativtext im Schlusschoral. Denn der Originaltext ist für heutige Ohren sehr ungewohnt.

Ertöt uns durch dein Güte,
erweck uns durch dein Gnad;
den alten Menschen kränke
dass der neu‘ leben mag.
Wohl hie auf dieser Erden,
den Sinn und all Begehren
und G’danken hab’n zu dir.

Nicht nur dass der Text von der tötenden Güte ziemlich unverständlich ist, bei der letzten Zeile ist deutlich zu merken, dass hier Text auf Melodie gezwungen wurde.

Der Eingangschor ist übrigens nicht viel besser. Dort heißt es:

Sie aber vernahmen der keines und wussten nicht, was das gesaget war.

Mir ist natürlich klar, dass es keine Vernehmung war, sondern das vernehmen hier im Sinne von hören, anhören gemeint ist. Aber wer oder was ist keines – in den Noten stand sogar Keines, also ein Substantiv. Zumindest der zweite Teil der Textzeile ist klar. Er beschreibt den Zustand der Sänger angesichts des Beginns der Textzeile. In modernes Deutsch übersetzt: Sie wussten nicht, was da gesagt wird, damit gemeint ist.

Der Text stammt aus verschiedenen Quellen: aus der Bibel (Lukas 18, 31 und 34; 5), von eine unbekannten Dichter und von Elisabeth Kreuziger, einer Dichterin geistlicher Lieder aus dem Kreis um Martin Luther.

Musikalisch ist der Choral „Ertöt uns durch dein Güte“ einer der schönsten Bachchoräle überhaupt. Das versöhnt Sänger wie Zuhörer mit dem Text.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

2 Kommentare

  • Willi Frank

    „Ertöt uns“

    Liebe Frau Peyronnet,
    wäre es möglich, mir den Text der Neufassung der 5. Strophe dieses Liedes „Herr Christ, der einig Gott’s Sohn“ zukommen zu lassen? In EG 67 findet man das ganze Lied. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

    Freundliche Grüße,
    Willi Frank

  • Susanne

    Lieber Herr Frank,
    hier kommt der Text:
    67:0 Herr Christ, der einig Gotts Sohn

    67:1 Herr Christ, der einig Gotts Sohn, Vaters in Ewigkeit, aus seim Herzen entsprossen, gleichwie geschrieben steht, er ist der Morgensterne, sein Glänzen streckt er ferne vor andern Sternen klar;

    67:2 für uns ein Mensch geboren im letzten Teil der Zeit, dass wir nicht wärn verloren vor Gott in Ewigkeit, den Tod für uns zerbrochen, den Himmel aufgeschlossen, das Leben wiederbracht:

    67:3 lass uns in deiner Liebe und Kenntnis nehmen zu, dass wir am Glauben bleiben, dir dienen im Geist so, dass wir hier mögen schmecken dein Süßigkeit im Herzen und dürsten stets nach dir.

    67:4 Du Schöpfer aller Dinge, du väterliche Kraft, regierst von End zu Ende kräftig aus eigner Macht. Das Herz uns zu dir wende und kehr ab unsre Sinne, dass sie nicht irrn von dir.

    67:5 Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad. Den alten Menschen kränke, dass der neu‘ leben mag und hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren und G’danken hab zu dir.

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