Ein Abend im Konzertsaal
Ich habe den Samstagabend im Konzertsaal der Musikhochschule Lübeck verbracht. Auf dem Programm stand ein gemeinsames Konzert von Lübecker Kammerorchester (LKO) und Musikhochschule. Es war ein Abend nach meinem Geschmack: mit Hardcore-Klassik.
Ich bin oft gefragt worden, was ich damit meine. Einfache Erklärung: Fast alles jenseits der Kammermusik. Das Gesäusel von Quartetten oder Quintetten mag ich nicht so sehr, für mich muss es bei der Klassik richtig krachen. Ich will volles Orchester, großen Klang, Brüllen und Trommeln und dazwischen lyrische Klänge von den Holzbläsern. All das bot das Programm des Konzertes im Konzertsaal der Musikhochschule.
Auftakt mit Mendelssohn Bartholdy
Los ging es mit der Konzertouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“, opus 27, von Felix Mendelssohn Bartholdy. Ein Stück, bei dem das Orchester unter der Leitung von Bruno Merse sein volles Potenzial ausspielen konnte und einen ersten Eindruck davon gab, was in ihm steckt und was noch kommen sollte. Nach dem Mendelssohn folgte das Konzert für Trompete und Orchester von Alexander Arutjunjan (1920-2012), gespielt von dem jungen Trompeter Vincent Dettenborn.
Der Solist überzeugte mit einem glasklaren Ton und großer Virtuosität. Als Zuschauerin hat mich allerdings sein Gehabe in den Pausen etwas irritiert. Dass Dettenborn die Züge der Trompete ausleert, ist für einen Blechbläser normal. Das dauernde Lippenlecken und Grimassen schneiden fand ich allerdings etwas irritierend. Aber vielleicht muss das so sein, ich kenne mich mit dem Trompetenspiel nicht aus. Ich hätte einfach die Augen schließen und die Musik genießen sollen.
Wenn der Konzertsaal erzittert
Nach der Pause folgte die Sinfonie Nr. 5, opus 47, von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975). Ein fulminantes Werk, das den Konzertsaal erzittern ließ. Alles, was es zum Werk zu wissen gibt und wie sehr die stalinistische Diktatur dem Komponisten die Hand führte, findet sich bei der Wikipedia. Das Programm des Abends gab ebenfalls Auskunft darüber, sodass ich mit einiger Kenntnis zuhören konnte.
Das Lübecker Kammerorchester setzt sich aus ambitionierten Laien und Profimusikern zusammen und ist längst zu einem ausgewachsenen Sinfonieorchester geworden. Den einen oder anderen Instrumentalisten kenne ich bereits, weil er bei unseren Chorkonzerten im Orchester saß. Und ich bin selbst Laienmusikerin. Ich weiß, wie schwer das Ensemblespiel für Laien sein kann. Es geht weniger darum, die richtigen Töne zu spielen, als an der richtigen Stelle einzusetzen und im richtigen Rhythmus zu spielen, damit das Gesamtbild nicht auseinanderfällt. Deshalb ist meine Hochachtung für die Musiker des Abends umso größer.
Großer Körpereinsatz der Musiker
Die drei Werke, vor allem der Schostakowitsch, verlangen den Instrumentalisten alles ab. Rasende Tempi verlangen über lange Passagen großen Körpereinsatz, vor allem von den Geigern, die ich gut sehen konnte. Eine maßgebliche Rolle fällt beim Schostakowitsch den groß besetzten Schlagzeugern zu, die ich schon immer sehr bewundert habe. Stets an der richtigen Stelle einzusetzen, um an exponierter Stelle hörbar zu sein, ist eine Herausforderung. Womit das Können der Bläser, die zwischen Geigen und Schlagzeugern sitzen, keinesfalls geschmälert werden soll.
Am Anfang des vierten Satzes (ab Minute 38.15) ist dieser Schlagzeuger-Einsatz sehr gut zu sehen und zu hören.
Ich stelle es mir für Laien sehr schwierig vor, in einem so hochklassigen Ensemble mitzuspielen und in einem großen Konzertsaal vor Publikum aufzutreten. Aber offenbar gibt es genug dieser ambitionierten Laien in einer Stadt wie Lübeck. Alle Instrumente waren, so weit ich das sehen konnte, groß besetzt. Ich bin keine erfahrene Musikkritikerin. Aber nach meinem Eindruck war das, was die Laien und die Profis ablieferten, eine großartige Leistung. Nur einen deutlichen Patzer habe ich gehört, aber über den will ich schweigen. In zwei Stunden im Konzertsaal (einschließlich Pause) ist ein einziger Patzer zu vernachlässigen.
Ich sollte viel öfter ins Konzert gehen, das habe ich mir nach diesem Abend fest vorgenommen. Aber wenn man wie ich auf dem Land wohnt, ist es immer aufwändig, dafür in die große Stadt zu fahren. Natürlich gibt es auch hier Konzert, vor allem in Kirchen, aber eben keine Hardcore-Klassik.