Orgelmann – Visionen des Malers Felix Nussbaum

Er war ein Visionär: Der Maler Felix Nussbaum (1904 – 1944) hat den Schrecken der Konzentrationslager und den millionenfachen Mord an den Juden gemalt, bevor er ihm selbst zum Opfer fiel. Mark Schaevers Buch „Orgelmann“ hat mir Felix Nussbaum nahe gebracht. Ein Buch, das ich beinahe atemlos gelesen habe.

Ich kenne mich gut aus in der Kunstgeschichte, auch der des 20. Jahrhunderts. Schließlich habe ich in grauer Vorzeit mal ein paar Semester Kunstgeschichte studiert und immer eine Leidenschaft für bildende Kunst gehabt. Felix Nussbaum aber war mir bis zu dieser Lektüre kein Begriff. Dabei war er vor 1933 einer der jungen Stars der Neuen Sachlichkeit. Die Machtübernahme der Nazis hat seine Karriere jäh beendet.

Nicht beendet hat sie seine Schaffenskraft, ja Schaffenswut. Er hat immer gemalt, wie widrig seine Lebensumstände auch gewesen sein mögen. Diese Lebensumstände blättert Schaevers in seinem Buch auf. Er hat dafür viele Jahre recherchiert, in Archiven gestöbert, Zeitgenossen befragt. Er hatte Glück: Einige Zeitgenossen Nussbaums sind sehr alt geworden und konnten ihm noch Auskunft geben. Erstaunlich, dass sie für das 2016 erschienene Buch noch so viele Erinnerungen beitragen konnten. Ungezählt sind aber jene, die wie er dem Nazi-Terror zum Opfer fielen und nicht mehr befragt werden konnten.

Den Schrecken malen

Felix Nussbaum ist nach 1933 über Umwege in Brüssel gestrandet. Mit dem Einmarsch der Deutschen nach Belgien wurden seine Angst und die Ausweglosigkeit immer größer. Aber er malt und malt. Seine Bilder sind Ikonen der Verfolgung, der Angst, des Grauens, des Sterbens. Schaevers arbeitet fein heraus, wie Nussbaum dem Totentanz des Holocaust Gestalt gegeben hat. In dem reich bebilderten Buch lässt sich die Wandlung des jungen Malers über Sujets wie Städte, Häfen und Netzflicker hin zu einem, der den Totentanz malt, gut nachvollziehen. „Triumph des Todes“ heißt sein letztes großes Gemälde, bevor er im Sommer 1944 verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet wird. Ebenso wie seine Frau Felka Platek, der Schaevers ebenfalls viel Raum gibt. Es ist kein Doppelporträt eines Künstlerpaares, aber ein Ein-Drittel-zwei-Drittel-Porträt.

Felix Nussbaum hätte ein ganz großer der Kunst des 20. Jahrhunderts werden können. Die Nazis haben ihm nicht nur das Leben, sondern auch seine Karriere als Maler genommen. Was für ein Glück für uns, dass viele seiner Bilder überlebt haben. Dafür hat er zum Teil selbst Sorge getragen. Noch ein Beweis, dass er ein Visionär war. Mittlerweile haben andere für Felix Nussbaum seinen Platz in der Kunstgeschichte zurückerobert.

Mehr Bilder bitte

All das zeichnet Schaevers nach. Sein Bericht, der bis in die heutige Zeit reicht, ist spannend zu lesen. Nur zwei Kleinigkeiten stören mich daran. Die Abbildungen tragen keine Bildunterschriften. Die Gemälde und wenigen Fotos werden im benachbarten Text erklärt. Beim Durchblättern bleibt oft rätselhaft, was auf den Abbildungen zu sehen ist. Außerdem benennt Schaevers malende Zeitgenossen Nussbaums und Gemälde, die ihm als Vorbilder gedient haben, ohne dass diese oder Bilder von Zeitgenossen abgebildet werden. Von einem kunsthistorischen Werk, und das ist das Buch zumindest in Teilen, erwarte ich, dass Vorläufer, etwa Pieter Brueghels d. Ä. „Triumph des Todes“ für Nussbaums gleichnamiges Bild, oder andere Gemälde aus der Zeit Nussbaums gezeigt werden.

Letztlich sind das Kleinigkeiten, das lässt sich im Zweifel nebenbei googeln. Für mich ist der „Orgelmann“ ein großartiges Buch für alle, die sich für Geschichte, Kunstgeschichte und die Schrecken der Nazidiktatur interessieren. Felix Nussbaum hat sie in voller Länge durchlitten. Sein Leben fiel schon in Trümmer, als er ins Exil gehen musste. Schaevers Verdienst ist es, die Entwurzelung und die Schwierigkeiten dieser Zeit genauso lebendig geschildert zu haben wie Deportation und Tod von Felix Nussbaum.

In seinen Bildern hat Felix Nussbaum diese Zeit auf eine einzigartige Weise dokumentiert. Nicht umsonst hat der deutsche Verlag geschrieben: „Was Anne Franks Tagebücher in der Literatur sind, sind Felix Nussbaums Bilder in der Kunst.“

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