Besuch auf den Schlachtfeldern von Verdun

Wir wissen nicht, wer Prosper Boisseau war. Ob er verliebt war oder verheiratet, was für einen Beruf er hatte und woher er kam. Wir wissen nur, dass er am 7. Mai 1915 starb und mit ihm Tausende und Abertausende in den Schlachten bei Verdun. Der Name steht auf einem der an die 20 000 Kreuze, die in und um Verdun herum an eine der schrecklichsten Schlachten des 1. Weltkriegs erinnern.

Was heißt eine Schlacht. DIE Schlacht von Verdun dauerte vom 21. Februar bis zum 29. Dezember 1916. Das bedeutet aber nicht, dass nicht schon vorher und hinterher in Verdun gestorben wurde. Der Name der Stadt im Département Meuse ist untrennbar mit dem Grauen des großen Krieges von 1914 bis 1918 verbunden. Bis heute sind die Narben dieses Krieges sichtbar. Soldatenfriedhöfe mit endlosen Reihen gleich aussehender Kreuze dokumentieren die unvorstellbare Zahl der Toten. Dabei haben die meisten gar kein Grab gefunden. Im Ossuaire de Douaumont, dem Beinhaus von Douaumont, liegen die Gebeine von 130 000 nicht identifizierten deutschen und französischen Soldaten.

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Gräber in Verdun

Unser Besuch auf den Champs de Bataille, den Schlachtfeldern von Verdun, beginnt im Ort Verdun. Gleich an den kommunalen, den noch heute genutzten städtischen Friedhof, schließt sich ein erster großer Soldatenfriedhof an, auf dem 3000 Tote liegen. In Doppelreihen ziehen sich die Kreuze über das Gelände, markiert mit Namen, Einheit und Sterbedatum der Gefallenen. Wie alt sie wurden, darüber gibt es keine Angaben. In der Mitte erinnert ein Mahnmal mit Grabstätten unbekannter Soldaten an das Grauen in der Hölle von Verdun.

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Vom Ort aus führt eine steile Straße auf die Höhen, auf denen die Schlacht tobte. Was mit dem Auto schnell bewältigt ist, muss für die Soldaten damals eine große Anstrengung bedeutet haben. Das Gelände ist hügelig, mitunter fast bergig. Auf der Höhe steht Wald und im Wald sind immer wieder Mahnmale zu sehen. Nach etwa fünf Kilometern haben wir das Mémorial erreicht, das Museum der Hölle von Verdun.

Der Kampf vor Verdun geht pausenlos weiter . . . Heute morgen erhielt ich eine Verstärkung des Wehrpflichtigen-Jahrgangs 1916. Mir war beklommen zumute, als ich diese noch bartlosen Jungen sah, und in den wenigen Worten, die ich an sie richtete, erinnerte ich an die Rekruten des Jahrgangs 1814 in der „Marie-Louise-Armee“, die Helden waren. Wie bei denjenigen von Chantecler habe ich von ihnen verlangt, zu wissen, wie man stirbt – wenn es sein müsse, mit einem Strauß Flieder auf ihrem Sack und einem Lächeln auf den Lippen. Möge Gott mir dieses Opfer ersparen.

Auszug aus einem Brief des Kommandeurs von Kerautem (Frankreich) an seine Frau. Er stirbt im September 1917 in Verdun durch einen Granatsplitter.

Exponate des Grauens

Es sind zutiefst menschliche Zeugnisse eines unmenschlichen Krieges, die im Museum des Mémorial de Verdun ausgestellt sind. Unter einer großen Wand mit Fotos von Soldaten liegen Blätter zum Mitnehmen. In drei Sprachen enthalten sie Zeitzeugenberichte wie den oben zitierten Auszug eines Briefes. Texte sind aber der geringste Teil der Ausstellung. Mit eindrucksvollen Schaubildern, mit fast 2000 Exponaten vom Fahrzeug bis zum Orden, von Tornistern bis zu in Gasmaskenringe gefassten Frauenporträts wird der Krieg dokumentiert. Den Gefühlen, den Nöten, den Ängsten der Soldaten wird breiter Raum eingeräumt. Das von Überlebenden des Krieges initiierte Mémorial dokumentiert keine Heldengeschichten, es macht das Grauen sichtbar.

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Im Erdgeschoss sieht sich der Besucher in die Schlacht versetzt. Er schreitet über Glasfußboden, unter dem der Schlamm, der Stacheldraht, das schmutzige Wasser und die Fußspuren der Soldaten zu sehen sind. Hinter Geschützen spannt sich eine große Leinwand, auf der Filmaufnahmen aus der Schlacht gezeigt werden. Es kracht und heult. Im Obergeschoss dokumentiert die Ausstellung das Leben und das Sterben der Soldaten. Was aßen sie? Wie ging es ihren Pferden? Welche Tiere spielten eine Rolle im Krieg? Beileibe nicht nur Pferde. Wer waren die Befehlshaber? Was schrieben sie nach Hause? Wie wurden die Verletzten versorgt? Welche Prothesen standen zur Verfügung? Alles ist dokumentiert, mit Exponaten illustriert und in drei Sprachen beschriftet: Französisch, Englisch, Deutsch. Ein herausragendes, beeindruckendes Museum.

Berühmter Gedenkort

Nur einen knappen Kilometer weiter erreichen wir das Beinhaus von Douaumont, französisch das Ossuaire de Douaumont. Der breit hingelagerte Bau wurde 1932 eingeweiht und gilt heute als das bekannteste Mahnmal der Schlacht von Verdun. Weltbekannt wurde es, als sich dort am 22. September 1984 der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Francois Mitterand die Hände reichten.

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15 000 weiße Kreuze stehen auf dem abfallenden Gelände vor dem Beinhaus. Alle Kreuze tragen Namen. Jeder steht für ein Schicksal eines Menschen, der im Alter zwischen 18 und 40 Jahren den Tod fand. So viele Tote, so viele Schicksale. Das verschlägt einem die Sprache. Dort liegt eine ganze Generation, denke ich. Auf etwa 800 000 Tote wird die Gesamtzahl der Opfer von Verdun geschätzt. Die Schlacht war eine der grausamsten und verlustreichsten des 1. Weltkriegs.

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Narben im Wald

Die Narben sind bis heute sichtbar. Auf dem Weg zur Gedenkstätte Tranchée des Baïonnettes (Schützengraben der Bajonette) führt der Weg am ehemaligen Dorf Fleury-devant-Douaumont vorbei. Es wurde von der Schlacht überrollt, bis auf die Kirche vollständig zerstört. Das Gelände ist bucklig: Noch heute sind die Granattrichter zu erkennen. Zwar sind Bäume darüber gewachsen, aber die Narben sind geblieben. Stummes Zeugnis eines unvorstellbaren Kampfes.
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Die Tranchée des Baïonnettes sind ein durch eine Gedenkstätte überdachter ehemaliger Schützengraben. Aus dem Sand ragen noch die Spitzen der Bajonette hervor. Nach der Legende sollen die Männer im Schützengraben stehend verschüttet worden sein.
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Mémorial, Beinhaus, Soldatenfriedhöfe, Bajonettgraben und Schlachtfeld bei Fleury-devant-Douaumont – wir haben nur einige wenige, wichtige Gedenkstätten besuchen können. Um alles zu sehen, braucht man mindestens zwei Tage. Aber auch bei einem kurzen Besuch entfalten die Champs de Bataille von Verdun ihren ganzen Horror. Angesichts dieses tausendfachen sinnlosen Sterbens kann man nur still werden. Und beten, dass es nie wieder einen solch mörderischen Krieg geben möge. Doch wir wissen alle, dass das große Sterben nur 21 Jahre später erneut begann. Noch schlimmer, noch grausamer – wenn das überhaupt geht – und mit Millionen von Opfern.

Unbekannt, aber nicht namenlos

Prosper Boisseau hat das nicht mehr miterlebt. Sein Name, den ich auf einem Kreuz in Verdun las, hat sich mir eingeprägt. Ein Zufall, es hätte auch ein anderer Name sein können. Ein bisschen Internetrecherche hat ein paar magere Daten über ihn zu Tage gefördert: „BOISSEAU Prosper, soldat, 1899, 8745, 21e, 7-5-15“ ist in der Kriegsgeschichte des 304. Infanterieregiments vermerkt. Das Jahr 1899 ist nicht sein Geburtsjahr, sondern vermutlich das Jahr seines Eintritts in die Armee. Bei seinen ebenfalls getöteten Kameraden lauten die Jahreszahlen unter anderem 1907 oder 1912. Das kann nicht das Geburtsjahr sein.

Am Ende ist es egal, wie alt die Soldaten waren, als sie auf dem angeblichen Feld der Ehre starben. Wichtig für uns heute ist, dass der Frieden, der über den Gräbern geschaffen wurde, hält. Angesichts der derzeitigen politischen Entwicklungen kann ich nur jedem Politiker raten, nach Verdun zu fahren. Sich dort mit den Politikern anderer Länder die Hände zu reichen und Europa als das zu erhalten, was es ist. Ein Bündnis, das Frieden geschaffen hat.

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