Die Vergesellschaftung des Schuhkartons

Vergesellschaftung, in der Ökonomie auch Verstaatlichung genannt, ist die Überführung von privater Aufgaben in staatliche Verantwortung. Dass sich nicht nur Produktionsmittel in staatliche Verantwortung übergeben lassen, habe ich in Frankreich erlebt. Ich nenne es mal hochtrabend die Vergesellschaftung des Schuhkartons. Oder anders ausgedrückt: Die Art, wie private Unternehmen einen Teil ihrer Pflichten der Allgemeinheit aufdrücken.

Wir waren in Frankreich shoppen. Im Schuhgeschäft. Nach einigem Hin- und Herprobieren war das richtige Paar Schuhe gefunden. Also zur Kasse. Der Schuhverkäuferin haben wir gesagt, dass wir den Karton nicht benötigen. Wir nähmen nur die Schuhe.

Das, beschied uns die freundliche Verkäuferin, gehe nicht. Sie dürfe uns die Schuhe nicht ohne Karton mitgeben, das erlaube ihr Chef nicht. Aber draußen vor der Tür, da sei ein Abfalleimer für wiederverwertbare Stoffe, da hinein könnten wir den Karton stopfen. In Frankreich gibt es zwei Arten von Mülleimern: für recycelbare Stoffe und für nicht recycelbare Stoffe. In den mit den wiederverwertbaren Stoffen kommt alles von der Plastikflasche bis zum Papier, nur für Glasflaschen gibt es extra Container.

Wir haben uns also in unser Schicksal gefügt und die Beseitigung des Schuhkartons in Angriff genommen – draußen vor der Türe. Das war nicht ganz einfach, denn es steckten bereits diverse Schuhkartons im Mülleimer.

Unsere französische Verwandtschaft war ganz baff, als wir diese kleine Anekdote erzählten und berichteten, in Deutschland sei jedes Geschäft verpflichtet, Verpackungsmaterial zurückzunehmen. Selbst Supermärkte haben hierzulande getrennte Müllbehälter für alles an Verpackung, was der Kunde nicht mitnehmen will. Die Franzosen können das gar nicht verstehen und praktizieren die Sache mit dem Schuhkarton ganz selbstverständlich. Aber die sind ja auch noch bis heute sauer, dass die Müllabfuhr  nicht mehr jeden Tag, sondern nur noch jeden zweiten kommt. In den großen Städten leert sie die Tonnen zwei bis drei Mal die Woche. Über die Tatsache, dass sie bei uns nur alle zwei Wochen kommt, sind die Franzosen noch schockierter als über die Tatsache, dass niemand verpflichtet ist, seinen Schuhkarton mitzunehmen.

Seltsames Gebaren in Sachen Müll haben wir schon mehrfach in Frankreich erlebt, etwa beim Gelben Sack (gibt es nur auf dem Land) und bei Klopapierrollen.

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