Die betroffene Gesellschaft: Plädoyer für mehr Gelassenheit
Ich bin doch gar nicht so schlimm, wie mir unterstellt wird. Warum ich das schreibe? Weil man mir vorwirft, ich sei behindertenfeindlich, hochnäsig, bildungsbürgerarrogant, ach, was weiß ich alles. Eingebracht hat mir das meine Liebe zu korrekt geschriebenem Deutsch und ein einfacher Kommentar auf einem Blog. Dabei habe ich nur kurz die Form kritisiert, aber dem Schreiber in der Sache Recht gegeben. Das wollte aber offenbar niemand lesen. Am besten, man unterstellt der Kommentatorin, in diesem Falle mir, erst einmal alle denkbaren bösen Motive. Dabei ginge es auch anders. Ein polemisches Plädoyer für etwas mehr Gelassenheit.
Aleksander hat auf seinem Blog „Quergedachtes“ unter dem Titel „Wenn Kultur bei der Sprache aufhört“ seinem Ärger darüber Luft gemacht, dass Spiegel online einen Artikel veröffentlich hat, in dem Behinderte als Krüppel bezeichnet werden. Recht hat er, das geht gar nicht. Aleksander unterfüttert seine Kritik mit einem an die Journalisten gerichteten Satz, der mich als Journalistin aufgebracht hat.
Aleksander schrieb:
Es ist Euer Umgang mit der deutschen Sprache der mich fassungslos macht.“
Ich habe in meinem Kommentar – zugegeben etwas harsch – angemerkt:
Ich gebe Dir in fast allem Recht, was Du hier schreibst. Aber bitte: Wer im Glashaus sitzt . . . Du wirfst Journalisten vor, mit der Sprache falsch umzugehen. Das stimmt in diesem Fall . . . Ganz ehrlich: Mich macht auch fassungslos, wie viele Komma- und andere Fehler dieser Text enthält. Nichts für ungut.“
Da hatte ich ja was geschrieben. Erst einmal hat Aleksander geantwortet:
Vielleicht bin ich auf dem falschen Weg wenn ich davon ausgehe das es wichtig ist WAS jemand sagt und nicht wie viele Fehler nach Duden und Co darin vorkommen. Aber es ist nun mal mein Weg. Wenn mich jemand deswegen nicht ernst nimmt tut es mir leid. Ich kann es nicht ändern.“
Um es hier noch einmal deutlich zu sagen: Das ist seine Meinung, er hat jedes Recht, sie zu äußern. Mit seiner Kritik an Spiegel online hat er auch inhaltlich Recht und auch damit, dass er seinen Weg gehen muss, darf, soll. Aber was dann auf mich niederprasselte, kann ich nicht verstehen. Dass es nicht darauf ankomme wie, sondern was jemand sagt, auf dem Standpunkt steht ein anderer Kommentator ebenfalls, und dort kann er auch stehen, das ist ihm unbenommen. Dass mir dann aber Bildungsbürgertum unterstellt wird und dass ich Leuten nur zugestehe, dass sie sich für Behinderte einsetzen, wenn es in korrektem Deutsch geschieht, halte ich für vermessen. So denke ich nicht und das habe ich auch nicht geschrieben. Ganz abstrus wird es, wenn mir vorgeworfen wird, ich wollte mit meiner Kritik den Inhalt des Gesagten und die Person des Autos herabsetzen. Wie bitte? Gegen diese Unterstellung verwahre ich mich. Der Gipfel ist dann aber noch, dass das Bemühen um korrekte Orthografie als „künstliches Produkt einer Macht- und Kulturelite“ diskreditiert wird, die sich damit nur vom Plebs absetzen wolle.
Aleksander selbst hat am Tag darauf einen offenbar auf mich gemünzten Artikel über Formen und Inhalte geschrieben. Daraus lese ich heraus, dass ich ihn mit meiner Kritik letztlich wegen seiner Behinderung angegriffen hätte. Sollte er so nicht gemeint haben, so tut es mir Leid, den Text so verstanden zu haben. Sollte er es aber so gemeint haben, dann hat er mich völlig missverstanden.
Denn genau das ist mir im Traum nicht in den Sinn gekommen. Ich habe gar nicht registriert, dass Aleksanders Blog das eines Autisten ist. Es hat bei meinem Kommentar nicht die geringste Rolle gespielt. Es war mir gar nicht bewusst. Ich weiß nicht, ob er mir das glaubt, aber genau so ist es.
Ich kann gar nicht so bösartig denken, wie es mir manchmal unterstellt wird. Oder ist das Problem genau andersherum. Sind viele Menschen zu dünnhäutig? Bevor ich weiter schreibe, eine grundsätzliche Feststellung:
Das, was jetzt kommt, ist keine Kritik. Es ist eine Feststellung. Ein Eindruck. Es beleidigt niemanden, es würdigt niemanden herab, es greift niemanden an. Es ist meine ganz persönliche Diagnose. Wie ihr sie findet, ist mir dieses Mal egal. Das muss jetzt einfach mal raus.
Wir leben in einer Betroffenheitsgesellschaft. Ganz besonders im Netz, aber auch sonst. Bloß kein falsches Wort, bloß keinen falschen Begriff verwenden. Es könnte je jemand beleidigt sein, und es ist eigentlich immer jemand beleidigt. Dann wird der Schreiber der inkriminierten Zeilen heruntergemacht – mal mit dem Degen, mal mit dem Florett. Kritik am Blogpost eines anderen? Du willst ihn ja nur in seiner Person herabsetzen. Kritik an der überbordenden Gender-Sprache? Dir fehlt das richtig Bewusstsein. Ich kann mich noch gut an einen Termin vor Jahren bei einem Verein erinnern, der Hilfe und Beratung für vergewaltigte Frauen anbietet. Auf meine Frage: „Kann hier jeder anrufen?“ wurde mir leicht schnippisch bedeutet: „Jede!“ Entschuldigung, ich habe ja nur so gesprochen, wie ich immer spreche.
Ich weiß meine Worte sehr wohl zu wägen. Wenn ich meine Artikel schreibe, schreibe ich nie diskriminierende Begriffe. Aber ich schreibe auch nicht von „besonderen Kindern“, wenn ich von Kindern mit Behinderungen schreibe, denn sonst würden mich mindestens 50 Prozent meiner Leser nicht verstehen. Ich schreibe nicht von „Schülerinnen und Schülern“ und schon gar nicht von SchülerInnen oder gar Schüler_innen, weil das geschraubt klingt und geschraubt aussieht. Das gibt es in der Zeitung nicht und wird es hoffentlich auch nie geben. Und wenn jetzt jemand schon deshalb beleidigt ist, dann kann ich ihm – sorry: ihr – auch nicht helfen.
Bitte, seid doch nicht immer gleich beleidigt oder betroffen. Schmeißt nicht immer gleich die große Gängelmaschine an. Liebe Leute, gesteht doch denen, denen ihr unterstellt, sie würden Böses wollen, einfach mal nur das Gute im Menschen zu. Nicht überall, wo ihr ihn vermutet, ist böser Wille im Spiel. Und holt jetzt bitte nicht auch noch die Keule der Gedankenlosigkeit heraus. Nein, wenn ich einen Blogpost kritisiere, dann um des Blogposts, nicht um des Menschen willen, der ihn geschrieben hat. Es ist mir ehrlich gesagt herzlich egal, ob er behindert oder schwarz oder Frau oder Wasweißich ist. Was zählt, ist der Text, ist sein Inhalt, und ein bisschen auch seine Orthografie und seine Rechtschreibung. Und ansonsten: Nehmt’s einfach mal sportlich und gelassen.
Jetzt hoffe ich nur noch, dass mir hier kein Rechtschreibfehler unterlaufen ist. Denn wer im Glashaus sitzt . . .
10 Kommentare
Aleksander
Hallo,
„Daraus lese ich heraus, dass ich ihn mit meiner Kritik letztlich wegen seiner Behinderung angegriffen hätte. Sollte er so nicht gemeint haben, so tut es mir Leid, den Text so verstanden zu haben. “
Das hast du in der Tat falsch verstanden. Meine Schwäche in der Interpunktion und auch der Rechtschreibung hat nichts mit Autismus zu tun. Daher habe ich das, in deinem Fall, auch in keinem Wort erwähnt. Ich mag es nämlich nicht, wenn jemand Autismus als Entschuldigung/Erklärung vor sich her schiebt.
Aber es ist, wie der Autismus auch, ein Teil von mir. Ein Teil der mir, das gebe ich auch in meinem Blogpost zu, sehr zu schaffen macht. So sehr, dass mich Dein Kommentar, an einem sehr wunden Punkt, getroffen hat. Etwas das Du nicht wissen konntest.
Oder um es noch anders auszudrücken: Ich kann verstehen wenn man, mit Fehlern in der Schriftsprache, nicht ernst genommen wird. Aber es schmerzt wenn man immer wieder die Erfahrung macht das man nicht für voll genommen wird. Und das obwohl man vielleicht etwas Wichtiges zu sagen hat.
Aleksander
Susanne
Lieber Aleksander,
lass uns das Kriegsbeil begraben. Ich konnte Deine wunden Punkte nicht kennen, Du meine nicht. Dann sind wir ja quitt. Ich redigiere und korrigiere den ganzen Tag Texte, da fallen mir Fehler natürlich mehr auf als anderen, und wenn dann noch mein Berufsstand kritisiert wird, bin ich schnell mal an der Tastatur und tue meine Meinung kund. Insofern stünde auch mir etwas mehr Gelassenheit gut.
LG, Susanne
Aleksander
Hallo Susanne,
so ist das manchmal im Leben. Gerade bei wunden Punkten. Mein Blogpost hat übrigens gestern ein zweites Update bekommen. Auch weil ich gemerkt habe das man mein Anliegen falsch verstehen könnte. Schau es Dir mal an!
Beim Blogbeitrag vom kommenden Sonntag wechsel ich übrigens mal den Standpunkt und betrachte so einiges aus einem anderen Blickwinkel.
Ich bin kritisch zu beiden Seiten :)
Grüße
Aleksander
Susanne
Da gucke ich doch gern wieder bei Dir vorbei. Und in den Reader kommt Quergedachtes jetzt auch.
GZi
Da hat doch der intensive Gedankenaustausch immerhin dazu geführt, dass Ihr zwei Eure Meinungen ausgetauscht und Euch mit Euren Standpunkten arrangieren konntet, das freut mich! :)
Ansonsten kann ich Susanne gut verstehen: Auch mir fällt auf, wie zunehmend sorglos mit der Rechtschreibung und Interpunktion umgegangen wird. Auch gleicht sich die Schriftsprache immer mehr dem gesprochenen Wort an, auch das stört mich und ich finde es zutiefst bedauerlich.
Das hat ja gar nichts mit einer individuellen (Lese-/Rechtschreib)Schwäche zu tun, sondern ist – von Einzelschicksalen abgesehen – meiner Meinung nach ein sehr bedauerlicher „Trend“ und ja – sei es drum: was ist denn falsch daran, Bildung hochzuhalten? Wir waren mal die Nation der Dichter und Denker… und ich habe wirklich oft den Eindruck: hier dichtet und denkt keiner mehr und Wissen oder Kulturbewusstsein schadet nur… wer heute zugibt Gedichte von Goethe oder Schiller auswendig zu können, an den ersten Klängen einen Nussknacker oder Schwanensee erkennt, wer mehr als eine Oper gesehen hat, der wird für verrückt erklärt, es sei denn er sagt im selben Atemzug: ich schaue aber auch das Dschungelcamp (ich oute mich: ich habe nicht eine einzige Folge geschaut und bin entsetzt, wie viele Menschen darüber mit Wonne schreiben wie auch über „Bauer sucht Frau“… ich frage mich zunehmend: Irgendwas muss ich grundlegend verpasst haben vermutlich in den letzten 10 Jahren meines Lebens… ich befürchte aber, dass ich das nicht wirklich schlimm finde…
Wenn ich weiter überlege, dass ich vielleicht in die Politik gegangen wäre und/oder doch eine Doktorarbeit geschrieben hätte, was ich nur durch dummen Zufall nicht getan habe, wer weiß, vielleicht stünde ich heute vor dem gleichen Problem wie Schavan uva … Natürlich haben wir wissenschaftliches Arbeiten und ordentliches Zitieren gelernt und entsprechende Richtlinien bekommen… aber ich danke Gott, dass ich mich heute nicht dafür rechtfertigen muss, was ich vor 30 Jahren möglicherweise in Eile und/oder unter Abgabedruck geschrieben habe.
So, sorry für die Länge – Berufskrankheit… haut man einmal in die Tasten,kann man nicht mehr aufhören, nicht wahr, Suanne ;-)
Aleksander
Hallo,
ich stimme Dir/Euch da vollkommen zu. Ich finde es selbst sehr traurig und sehe es auch kritisch was mit der deutschen Sprache passiert.
Aus: Kannst Du mir bitte das Wasser geben?
wird
Kannst Du mal Wasser?
und wird
Ey: Wasser!
Vielleicht regt es mich deshalb auf, wenn so manche Medien dann so unschön mit der Sprache umgehen. die Frage ist dann nur: Spiegel sie die Gesellschaft oder ist es die Gesellschaft die wiederum die Medien spiegelt?
Ich hoffe zumindest, auch trotz meiner Fehler, dass man meine Liebe zur Sprache und zu Sprachbildern in meinen Blogposts wiederfinden kann :)
Grüße
Aleksander
Susanne
Hi Aleksander,
man kann Deine Liebe zur Sprache in Deinen Blogposts sehen, Du schreibst gut, nur die Interpunktion und das Das und Dass, aber das weißt Du ja selbst. Ich kann verstehen, dass Dir die Sprachschluderei weh tut. Wir Journalisten können uns nur immer wieder dagegen stemmen, in dem wir keine Deppen-Leerzeichen, keine falschen Apostrophe und ähnliches verwenden und versuchen, eine gute Schriftsprache zu pflegen. Was auch nicht immer leicht ist und oft einen Kampf innerhalb der Redaktion kostet. Frei nach dem Motto „Wenn die sich aber so schreiben . . . “ bei falsch zusammengesetzten Firmennamen etwa. Also lasst uns weiter unsere schöne Sprache pflegen, und die paar Kommata, pffft!
Michèle Legrand
Ich freue mich sehr über die sachlich-respektvolle Annäherung und Klärung in euren Kommentaren unter diesem Blogpost, Susanne und Aleksander!
Ich habe natürlich auch die entsprechenden Posts selbst gelesen. Die Reaktionen in den Kommentaren an dich, Susanne, sind mit Sicherheit zu einem sehr großen Teil überzogen und auch vom Thema abweichend, doch ehrlich gesagt – ich weiß auch nicht, warum du diesen Kommentar selbst unbedingt loswerden wolltest.
Bei der Aussagekraft, die Aleksanders Darstellung hatte und dem Gesamteindruck, der dadurch und durch die Art und Weise, wie Aleksander selbst auftrat entstand, halte ich das wirklich für komplett unnötig.
Ich liebe Sprache ebenfalls sehr und freue mich über jeden korrekt formulierten und niedergeschriebenen Text, doch zwischen der Verkommung der Sprache, lieblosem Zusammengewürfel ungereimter Dinge, unpassender Wortwahl, unkonzentriert hingeworfenen Halbsätzen auf der einen Seite und einem Rechtschreibfehler plus irregulär gesetzer Kommata oder Kommas (siehst du, auch ich werde schon im Kommentar im Fluss unterbrochen, nur weil ich überlege, welcher Begriff genehmer ist) auf der anderen Seite, besteht für mich ein riesengroßer Unterschied. Es war völlig klar, was gemeint war.
Vielleicht ging es anderen auch so, dass sie es im Gesamtzusammenhang an dieser Stelle einfach als Haarspalterei und auch am Thema vorbei empfanden.
Auch nichts für ungut, Susanne, du weißt ich respektiere dich und dein Können sehr und möchte nur – weil du selbst sehr offen bist – in ebenso offener Art kommentieren.
Noch einmal – ich bin sehr angetan von der Art und Weise, wie hier im Nachhinein erst der richtige Gedankenaustausch zwischen euch entstand. Unglücklich gestartet und jetzt auf der richtigen Bahn. Das finde ich klasse!
LG Michèle
Susanne
Liebe Michèle,
genau so wie Du es geschrieben hast, hätte ich mir die Kritik an meinem – zugegeben etwas harschen und vielleicht unüberlegten – Kommentar vorgestellt. Sachlich und abgewogen. Deshalb nehme ich Dir das auch überhaupt nicht übel, ganz im Gegenteil. Ich freue mich jedenfalls, dass Aleksander und ich jetzt einen guten Konsens gefunden haben. Ich finde es ja toll, was er macht und schreibt und bin mittlerweile ein echter Fan von ihm geworden.
LG, Susanne