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Rezension: Handbuch Presse- und Medienarbeit im Krisenstab

Ich habe jahrelang als Polizeireporterin gearbeitet und tue es heute noch manchmal. Ich weiß, wie gute Pressearbeit von sogenannten BOS (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben), also der Blaulicht-Fraktion, aussehen sollte. Viele Dinge, die ich mir immer gewünscht und die ich über Jahre gepredigt habe, sind jetzt in einem Handbuch zusammengefasst. Es ist das „Handbuch Presse- und Medienarbeit im Krisenstab“ von Jan Müller-Tischer.

Da schreibt einer von der anderen Seite über Pressearbeit im Angesicht von Krisen jeder Art. Ob Großfeuer, Amoklauf, Hochwasser oder Corona, ob kurzes Ereignis oder über mehrere Tage oder gar Wochen dauernde Krise: Presse- und Medienarbeit von Krisenstäben, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten, eventuell auch Bundeswehr, ist heutzutage gefragter denn je. Weil die Zahl der Sender stetig steigt, und damit sind nicht nur Radio- und Fernsehsender gemeint. Waren es früher nur klassische Medien, die bedient werden wollten und mussten, so kommt heute Social Media hinzu. Andere Mittel der Öffentlichkeitsarbeit in Krisen – Stichwort Sirene – haben dagegen zunehmend an Bedeutung verloren.

Auf den Punkt geschrieben

Alles das arbeitet Jan Müller-Tischer in seinem bewusst knapp gehaltenen Handbuch heraus. Es ist schnell gelesen, weil alles, was er schreibt, auf den Punkt kommt. Er fabuliert nicht lange drumherum, schenkt sich verschnörkelte Phrasen und ausführliche Anleitungen. Stattdessen gibt er kurz und knapp die wichtigsten Informationen. Ein Handbuch also im besten Sinne.

Dennoch hat mir der Kopf geschwirrt. Beim Lesen habe ich immer mal den Überblick verloren, was der behördenintern so genannte S5 alles leisten muss. Früher hieß der einfach Pressesprecher und war meistens ein Einzelkämpfer. Ich kann mich noch gut an die großen Lagen meiner Polizeireporterzeit in den 90er-Jahren erinnern. Etwa daran, wie der damalige Polizeisprecher Bernd T. (einer der besten, die es je gab) nachts auf verregneter Straße stehend alle neugierigen Pressevertreter zufriedenstellen musste. Dabei wurde er misstrauisch von seinem Chef beäugt, dass er bloß nicht mehr sagt als unbedingt nötig.

Es geht nur im Team

Inzwischen, das macht Jan Müller-Tischer deutlich, ist die Vielfalt der Aufgaben zwischen Pressearbeit, internen Abstimmungen, Social Media und den vielen unterschiedlichen virtuellen Schauplätzen der Arbeit kaum noch von einem alleine zu bewältigen. Schon gar nicht nachts irgendwo vor einem brennenden Haus. Und so ist der S5 folgerichtig der Leiter eines ganzen Pressestabes, erst recht in großen Krisensituationen.

Müller-Tischer hat sein Buch in zwei Teile gegliedert: die klassische Pressearbeit und von ihm so genannte direkte Kommunikation via Bürgertelefon oder Social Media. Der erste Teil hat mich als Konsumentin von behördlicher Pressearbeit natürlich besonders interessiert. Da steht tatsächlich alles drin, was ich mir immer gewünscht habe. Kleines Beispiel: In einem von mir verfassten Handout für Pressesprecher jeder Art habe ich zum Thema Pressekonferenz geschrieben, dass diese bei Themen mit großem Medieninteresse angesetzt werden sollten. Dabei habe ich den Hinweis aufgenommen, dass ein Vorlauf von eineinhalb bis zwei Stunden einzuhalten sei, um den Pressevertretern die Anreise zu ermöglichen.

Wer spricht da?

Was mir nicht bewusst war und was mir das das Buch vor Augen geführt hat: Auch diejenigen, die solche Pressekonferenzen organisieren, brauchen diesen Vorlauf. Akribisch listet Jan Müller-Tischer auf, was dazu gehört. Das reicht von der Entscheidung, wer sprechen soll, bis zur Raumwahl, der Technik und dem Termin. Er hat an fast alles gedacht. Nur einen Hinweis habe ich vermisst: Dass vor jedem Sprecher ein Schild mit Name, Vorname und Funktion stehen sollte. Die meisten, vor allem die angeblich oder wirklich wichtigen Menschen, neigen dazu, davon auszugehen, dass jeder wisse, wer sie sind. Sie stellen sich nicht vor, reden einfach los. Wie oft habe ich schon in einer Pressekonferenz oder einem Pressegespräch gesessen und gedacht: Wer zum Teufel ist das da vorne?

Der praktische Ansatz, der beim Thema Pressekonferenz deutlich wird, zieht sich durch das ganze Buch. Das alles in erfrischender und gegenüber der Presse auch wohlmeinender Sachlichkeit. So findet sich unter der Überschrift „Typen von Pressevertretern“ nicht wie von mir zunächst erwartet eine Einteilung in Anfänger, Besserwisser und alte Hasen, sondern eine in freie Blaulichtreporter, Zeitungsjournalisten, Presseagenturen und freie Radio- und TV-Journalisten. So ist es in vielen Kapiteln zum Thema Pressearbeit. Stets ist spürbar, dass Müller-Tischer den Journalisten mit Respekt für ihre Arbeit begegnet und sie als gleichwertige Partner empfindet, die ein Recht auf seriöse Informationen haben. Kein Wunder, hat er doch selbst als Journalist gearbeitet und kennt das Metier aus beiden Blickwinkeln.

Jan Müller-Tischer widmet sich seit Jahren der Krisenkommunikation und der Stabsarbeit. Foto: Louisa Müller-Tischer

Beschimpfte Blaulichtreporter

Kleiner Exkurs: Dass der Respekt vor der Arbeit der Pressevertreter und ihrer Rolle nicht selbstverständlich ist, erleben Blaulichtreporter immer wieder. Ich bin schon von Rettungsdienstlern beim Eintreffen an einem Unfallort mit dem Spruch „Ach, die Schmeißfliegen sind wieder da“ begrüßt worden. Ich habe schon einmal Hausverbot an einer Einsatzstelle bekommen. Bei einem Seminar für den Umgang von Notfallseelsorgern mit Journalisten an Unfallstellen hat mich in einem Rollenspiel eine der Teilnehmerinnen dreist belogen. Begründung: „Die Reporter wollen doch nur eine saftige Schlagzeile, da habe ich sie eben in die falsche Richtung geschickt, um das zu verhindern. Der Presse muss man nicht noch zuarbeiten.“ Wohl jeder, der jemals als Journalist an Unglücksstellen war, kann solche oder ähnliche Geschichten erzählen.

Dass das die falsche Einstellung ist, macht Müller-Tischer im Fazit seines Buches klar.

Nur wenn die Menschen ihre Informationen aus gut recherchierten journalistischen Quellen und gleichzeitig gut aufbereitet von den Behörden direkt beziehen, können sie sich ein vollständiges Bild der Situation machen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit, bremst die Verbreitung von Falschinformationen, verhindert Panik und wirkt am Ende auch Verschwörungsmythen entgegen.

Vorbereitung zahlt sich aus

Ich wage jetzt noch einen Blick auf die behördenintern wichtigen Hinweise in dem Buch. Wer es gelesen hat weiß, wie viel interner Abstimmungsbedarf und auch wie viel Vorbereitung eine gute Pressearbeit und eine gute Social-Media-Arbeit machen. Das Feld ist mit dem Internet immens viel größer geworden. Um das alles in der sogenannten Chaosphase, dem Beginn einer großen Lage, bewältigen zu können, ist gute Vorbereitung erforderlich. Wie wichtig die ist, macht Müller-Tischer immer wieder klar. Wenn die Krise erst losgebrochen ist, ist es zu spät, einen Facebook-Account anzulegen, Twitter-Follower zu sammeln oder Rechner zu installieren, auf denen das möglich ist, was auf Behördenrechnern oft verboten oder blockiert ist. Bleibt zu hoffen, dass sein Wissen und seine Ratschläge zu denen durchdringen, die in Kreisverwaltungen und Feuerwehrverbänden etwas zu sagen haben. Ohne Mittel und Personal wird es nicht gehen.

Kompaktes Handbuch für den Alltag

Das Handbuch Presse- und Medienarbeit im Krisenstab von Jan Müller-Tischer ist ein kompaktes Nachschlagewerk für alle, die in Krisensituationen mit der Öffentlichkeit Kontakt haben. Dabei ist es egal, welche Art von Öffentlichkeit, ob Presse, Social-Media-Akteure oder Bürger, die sich in solchen Situationen an die Sicherheitsbehörden wenden. Deshalb sollte es jeder Wehrführer, jeder Pressesprecher – nicht nur die von BOS – und jeder Mitarbeiter von Katastrophenschutzbehörden lesen und beherzigen. Das ist mein bescheidener Wunsch als Pressevertreterin mit Blauchlichterfahrung.

Dass das in Müller-Tischers Selbstverlag und lediglich bei Amazon erhältliche Buch ein paar typografische Mängel hat, kann getrost vernachlässigt werden. Schließlich geht es hier nicht um die bibliophile Ausgabe eines Klassikers, sondern um ein Handbuch für jeden Tag oder zumindest jede größere Lage.

Da ich beruflich viel mit der Feuerwehr zu tun habe, gibt es hier noch etliche weitere Texte dazu.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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