Mundorgel: Bolle reiste jüngst zu Pfingsten

Es ist Pfingsten, und mir geht die Liedzeile „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ nicht aus dem Kopf. Ich weiß natürlich aus dem Stand, wo ich Text und Melodie finde: in der Mundorgel. Das kleine Liederbüchlein ist bis heute eines der populärsten, viele kennen es. Auch ich habe wunderbare Erinnerungen daran.

Der Bolle ist eines der Lieder in der Mundorgel-Kategorie, die mit „Der Globus quietscht und eiert“ überschrieben ist. Da sind Klassiker des albernen Liedguts zusammengefasst, von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ über den oben genannten Globus bis „Die Affen rasen durch den Wald“. Das haben wir als Jugendliche in der kirchlichen Jungschar tausendmal geschmettert, mit und ohne Gitarrenbegleitung. Denn in der Mundorgel sind für jedes Lied die entsprechenden Akkorde über der Notenreihe vermerkt.

Liederheft Mundorgel.
Das Liederheft Mundorgel ist so klein, weil es in jede Hosentasche passen soll.

Lieder für jeden Anlass und jede Tageszeit

Natürlich enthält die Mundorgel nicht nur Quatschlieder. Das erstmals 1953 erschienene Liederbuch aus dem gleichnamigen Verlag ist neben dem Globus-Part in diese Kapitel unterteilt: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“, „Abend wird es wieder“, „Gott liebt diese Welt“, „Wer jetzig Zeiten leben will“, „Wir sind jung, die Welt ist offen“ und „Wiegende Wellen auf wogender See“.

Ich bin bei weitem nicht die einzige, die sich immer noch gern an das kleine rote Büchlein erinnert. Als ich das mal bei Twitter erwähnt habe, gab es viele begeisterte, aber auch kritische Reaktionen. Einfach mal die Antworten lesen.

Die Mundorgel hat in den langen Jahren, in denen es sie gibt, viele Veränderungen durchgemacht, vor allem äußerlich, wie ein Blick auf die Seiten des Verlags zeigt. Die knallrote Farbe hat das Büchlein erst 1964 bekommen, danach hat sich das Design immer mal wieder leicht verändert. Offenbar von Anfang an gab es jeweils eine Text- und eine Notenausgabe. Ich kenne nur die Notenausgabe. Vor einiger Zeit habe ich mich mal mit einer Reihe von Fragen an den Mundorgel-Verlag gewandt, um diesen Beitrag mit deren Antworten zu versehen. Leider habe ich nie eine Antwort bekommen.

Passt die Mundorgel die Lieder dem Zeitgeist an?

Ich hatte dem Wikipedia-Eintrag entnommen, dass die Auswahl der Lieder immer mal verändert und dem Zeitgeist angepasst wurde. Dafür hätte ich gern einige Beispiele gewusst für Lieder, die in den ersten Ausgaben enthalten waren, aber später aus weltanschaulichen Gründen gestrichen wurden? Und auch ob es aktuell Überlegungen gibt, in einer Überarbeitung Lieder zu streichen und neue dazu zu nehmen? Nach welchen Kriterien passiert das?. Ich wollte wissen, ob neueren Strömungen (Identitätspolitik/Antirassismus/geschlechtergerechte Sprache) Rechnung getragen wird.

Immerhin sind in meiner Ausgabe von 1982 schon Anklänge von Geschlechtergerechtigkeit zu finden: „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind, wer sagt, dass Mädchen immer albern sind, wer sagt, dass Mädchen schüchtern sind, der spinnt, der spinnt, der spinnt!“, heißt es in dem gleichnamigen Lied, Text von 1978. Andere Lieder scheinen nicht mehr zeitgemäß zu sein. „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ und „Hoch überm Tale standen unsere Zelte“ – nicht zu verwechseln mit „Jenseits des Tales“ – haben zwar schöne Melodien, sind aber für mich textlich doch recht aus der Zeit gefallen. Die Wildgänse sind ein mittlerweile umstrittenes Kriegslied von 1915. Die Zelte im Tal haben einen sehr martialischen Text.

Einerseits kann ich verstehen, dass die Mundorgel heute längst nicht mehr so populär ist wie früher, die Zeiten ändern sich halt. Wer sitzt schon noch zusammen und singt? Was ich sehr schade finde, mir hat das Singen immer viel Spaß gemacht, ob im Chor wie heute noch oder als Jugendliche aus der Mundorgel. Wäre nicht gerade am heutigen Pfingstsonntag ein guter Anlass, um Bolle nochmal zu Pfingsten nach Pankow reisen zu lassen?

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