Kommersbuch: Ein Stück Familiengeschichte

Sie hießen Martha, Lotte und Else, die Damen, die sich irgendwann vor mehr als 100 Jahren in das Kommersbuch eintrugen. Das kleine, schon etwas zerfledderte Büchlein ist so etwas wie ein Familienschatz, den mir mein Vater jetzt zum Hüten gegeben hat. Ein solches Kommersbuch zu haben, gehörte damals bei Studenten zum guten Ton. Nicht ganz klar ist, wem es gehört hat, meinem Großvater oder meinem Großonkel.

Das „Kleine Kommersbuch“, so der Titel, ist im Verlag Philipp Reclam jun. erschienen und trägt zwei Untertitel: Studentenliederbuch und Liederbuch fahrender Schüler. Nach Erzählungen meines Vaters war es vor allem für Studenten bestimmt. Das erste Exemplar ist im Mai 1897 erschienen. Die Einträge in meinem Büchlein stammen hauptsächlich aus dem Jahr 1913.

Gekritzelte Erinnerungen

Diese Einträge sind eine der Besonderheiten eines solchen Kommersbuchs. Was noch früher Tanzkarten waren, war später für die Studenten das Kommersbuch. Auf den Seiten, oft quer darüber geschrieben, trugen sich die Damen ein, mit denen der Studiosos angebändelt hatte. Das ist auch in meinem Exemplar nicht anders. Nicht alles ist zu entziffern, aber mancher Eintrag schon. Die Einträge bestanden häufig aus einem Spruch und einer dazu gefügten Widmung.

Der Eintrag von Else Wehmeyer ist gut leserlich.

Nicht immer sind die Einträge wie der von Else Wehmeyer auf freie Stellen der Seiten geschrieben. Oft sind sie auch quer über die Texte gekritzelt worden. Das Kommersbuch enthält auf 111 Seiten Liedtexte, die Studenten abends in der Kneipe sangen. Davon künden auch die Titel der Lieder. Etwa „Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher“. Etwas später heißt es dann: „Keinen Tropfen im Becher mehr“. Aber es sind auch, das war wohl der Zeitgeist, patriotische Texte dabei, etwa in dem Lied „Herrlich auferstanden bist du, Deutsches Reich“.

Ausgewählte Lieder im Kommersbuch sind mit Illustrationen und einige davon mit Noten versehen.

Ergänzt wird der Textteil mit Illustrationen, unter die manchmal auch die Noten gedruckt sind. Diese illustrierten Seiten sind auf dickerem Karton gedruckt. Es sind Postkarten, die sich herausnehmen und an die Dame des Herzens verschicken lassen. Auf der Rückseite sind die Felder für Adresse und Briefmarke aufgedruckt.

Die Brüder Curt und Johannes

Der Eigentümer meines Büchleins hat die Karten darin gelassen. Vielleicht hat ihn keine der Damen so sehr betört, dass er ihr eine Karte zukommen lassen wollte. Wir wissen es nicht. Es ist nicht einmal ganz klar, wem das Büchlein gehört hat: Curt oder Johannes. Es waren Brüder, der eine mein Großonkel, der andere mein Großvater. Beide waren Studenten, der eine wurde Lehrer, der andere Ingenieur. Das Büchlein trägt vorne drin den Schriftzug Jhs. Frege. Laut meinem Vater soll das Kommersbuch aber Curt Frege gehört haben.

Der tote Bruder

Es kann gut sein, dass es von ihm in den Besitz meines Großvaters Johannes überging. Denn 1917 schrieb Curt noch in das Poesiealbum seines Bruders, ein Jahr später war er tot. Im Alter von nur 24 Jahren fiel er auf dem vielbeschworenen Feld der Ehre. Dass Johannes das Kommersbuch von Curt übernommen haben könnte, scheint aber eher unwahrscheinlich, stammen die Einträge doch aus dem Jahr 1913.

Kommersbücher gibt es heute noch zu kaufen. Sie sind in erster Linie in Burschenschaften verbreitet. Vor allem aber sind sie heutzutage teuer und aufwendig gestaltet. Ganz anders als das abgegriffene und an häufigen Gebrauch erinnernde Buch, das ich jetzt besitze. Ich werde es hüten, denn es ist ein Stück Familiengeschichte.

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