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Erst die Wahl, dann die Abstimmung

Wahl und Abstimmung sind zweierlei. Wenn die Wörter auch oft als Synonym gebraucht werden, so bezeichnen sie doch verschiedene Dinge. Heute ist Europawahl. Da wählen wir Europäer unsere Parlamentarier. Gleichzeitig gibt es in einer Stadt in meiner Gegend einen Bürgerentscheid. Da wird nicht gewählt, da wird abgestimmt. Für Wähler und Abstimmer gibt es wegen der unterschiedlichen Wörter auch unterschiedliche Papiere aus den jeweiligen Verwaltungen. Schön in schwurbeligem Verwaltungsdeutsch gehalten.

Das beginnt schon bei der Bekanntmachung. Es gibt keine Wahl-, sondern eine Abstimmungsbekanntmachung. Und auch sonst ist das Wort Wahl immer durch Abstimmung zu ersetzen. Das treibt mitunter seltsame sprachliche Blüten.

Die Abstimmungsberechtigten können nur in dem Abstimmungsraum des Abstimmungsbezirks abstimmen, in dessen Abstimmungsverzeichnis sie eingetragen sind.

Für die Europawahl – gleicher Ort, gleicher Raum, gleicher Mensch – heißt das dann:

Die Wahlberechtigten können nur in dem Wahllokal des Stimmbezirks wählen, in dessen Wählerverzeichnis sie eingetragen sind.

Weitere Parallelen gefällig? Es wird noch schöner.

Die Abstimmerin und der Abstimmer werden gebeten, die Abstimmungsbenachrichtigung und ihren Personalausweis oder Pass zur Abstimmung mitzubringen. Die Abstimmungsbenachrichtigung soll bei der Abstimmung abgegeben werden.

Die Wählerinnen und Wähler haben ihre Wahlbenachrichtigung und einen amtlichen Personalausweis – Unionsbürgerinnen und -bürger einen gültigen Identitätsausweis – oder Reisepass zur Wahl mitzubringen, damit sie sich auf Verlangen über ihre Person ausweisen können.

Übrigens heißt eine Wahl per Brief Briefwahl und eine Abstimmung per Brief Briefabstimmung. Logisch, oder?

Aber wo liegt nun der Unterschied zwischen Wahl und Abstimmung? Da hilft die Wikipedia weiter, die feststellt, dass bei Wahlen herrschaftsausübende Personen bestimmt werden. Deshalb sind Wahlen auch nur Staaten, Gebietskörperschaften oder Organisationen möglich. Eben immer da, wo Herrschaft ausgeübt wird. Abstimmungen dagegen dienen „der gemeinschaftlichen Willenserklärung einer Versammlung oder einer Personengruppe über eingebrachte Vorschläge“. Deshalb stimmen nicht nur die Zuschauer bei „Deutschland sucht den Superstar“ ab, anstatt einen Kandidaten zum Superstar zu wählen. Nein, abgestimmt wird auch von herrschaftsausübenden Personen, etwa im Bundestag, aber erst nachdem sie – Achtung – gewählt worden sind. So einfach und so kompliziert ist es. Übrigens folgt nach jeder Wahl zwingend eine Abstimmung. Ein Wahlprüfungsausschuss stimmt nach der Wahl darüber ab, ob die Wahl rechtmäßig war und stellt das amtliche Endergebnis fest.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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