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Ein Komponist von heute: Interview mit Michael Porr

Ein alter Kalauer der Lübecker Kirchenchöre besagt, dass noch vor 20 oder 30 Jahren betagte Choristinnen berichteten, sie wüssten, wie Hugo Distler (1908- 1941) seine Stücke gesungen haben möchte, sie hätten selbst bei ihm gesungen. Schlagfertige Chorleiter fragten dann gern, ob die Damen auch schon bei Dietrich Buxtehude (1673-1707)  dabei waren und wüssten, wie er seine Stücke interpretiert haben wolle. Als Choristin des St. Johannes-Chores in Lübeck Kücknitz habe ich das Glück, gerade ein Stück zu singen, dessen Komponist noch lebt. Das ist in der Kirchenmusik eine große Ausnahme, gibt einem aber die Möglichkeit, den Komponisten zu befragen. Wir singen das „Requiem“ von Michael Porr (*1967), der so freundlich war, mir ein Interview zu geben. Ein Hörbeispiel vom Requiem gibt es am Schluss.

Bei den großen Kirchenmusikkomponisten der Vergangenheit gehörte das Komponieren zu ihrer Stellenbeschreibung dazu. Was hat Sie als Kirchenmusiker von heute bewogen, mit dem Komponieren zu beginnen? Gibt es nicht genug geistliche Chormusik?

Ich habe schon als Jugendlicher angefangen zu komponieren, das hat mich immer interessiert. Natürlich gehörte das früher dazu, heute nicht mehr so, aber es ist sehr schön, wenn es aus der Praxis kommt. Ich weiß aus meinem Arbeitsalltag, was Chöre leisten können. Eigentlich wollte ich Trompeter werden, doch mein Lebenslauf hat mich dahin gebracht, irgendwann Kirchenmusiker zu werden. Absolut gibt es genug und natürlich viel bessere geistliche Chormusik, aber trotzdem möchte man seinen eigenen Beitrag leisten.

Was sind Ihre Vorbilder und wie hat sich Ihr Komponieren entwickelt?

Als Jugendlicher waren meine großen Heroen die Komponisten der Spätromantik, dann habe ich diese Phase überschritten. Danach hatte ich ein Urerlebnis. Ich habe für Kinder eine Musik zu dem Märchen „Schneewittchen“ geschrieben. Ich hatte so einen Spaß daran, weil die Kinder die Melodien, die ich geschrieben habe, so gerne gesungen haben. Schließlich kam die Überlegung, dass ich so viele Sachen schreibe, die mein Chor nicht singen kann. Ich habe mir gedacht: Da muss mit mir etwas nicht stimmen. Als ich dann die englische Chormusikszene erlebt habe, war das für mich wie eine Befreiung.

Komponieren ist das eine, veröffentlicht und gar aufgeführt zu werden das andere. Wie schafft es heutzutage ein Komponist, einen Notenverlag für sich zu interessieren. Wie ist es Ihnen gelungen?

Es war nicht so einfach. Der Butz-Verlag sitzt in Bonn, hier in der Nähe. Ich habe mit ihnen telefoniert, habe gesagt, ich habe ein paar Stücke, die könnten euch interessieren, ich komme mal vorbei. Ich bin die Stücke mit dem Verlagsleiter Hans-Peter Bähr durchgegangen und er sagte, das passt ganz gut in unser Musikprogramm. Wir sind beide nach England orientiert. Dort wird vieles komponiert, was gut singbar ist. Der Verlag hat dann erstmals kleinere Sachen gemacht und schließlich das Requiem veröffentlicht.

Wie viele Chorwerke haben Sie bereits veröffentlicht und wo reiht sich das „Requiem“ dort zeitlich ein?

Ich habe vorher kleinere Motetten geschrieben, meistens A cappella oder mit Orgel. Das Requiem war tatsächlich das erste größere Stück, das ich geschrieben habe.

Wie oft ist das Requiem bisher aufgeführt worden und wie erfahren Sie davon?

Meistens schreibt der Verlag mir, welcher Chor die Noten bestellt hat. Ich bin Gema-Mitglied, irgendwann kriege ich dann mal Geld. Oder ich googele es. Oft schreiben mir auch Leute, dass sie mein Requiem singen und dass es ihnen gefällt. Solche Briefe sind mir das liebste, sie geben mir eine Bestätigung.

Welche Komponisten haben Sie beeinflusst und welcher Einfluss davon hat Auswirkungen auf das Requiem gehabt? Welche anderen Musikrichtungen sind darin eingeflossen.

Vor allem die schönen Requiemvertonungen von Gabriel Fauré und Maurice Duruflé, die sind sehr schön, sehr feinsinnig. Es war mir so wichtig, kein Schreckensszenario aufzubauen. Es ist ein sehr stilles, sehr nachdenkliches, vielleicht sogar tröstendes Stück.

Sie haben das Requiem nach eigenen Angaben komponiert, um ihrer Trauer über den Tod Ihrer Eltern Ausdruck zu verleihen. Es ist ein stilles, beinahe introvertiertes Stück. Sind Sie ein eher zurückhaltender Mensch?

Wie soll man sich selber beschreiben? Ja, ich bin ich eher zurückhaltend. Das geht aber nicht in dem Moment, wenn ich vor einem Chor stehe. Wenn Sie mich in einer Chorprobe erleben, würden Sie nicht sagen: Das ist ein zurückhaltender Mensch.

Das „Requiem“ enthält ein paar Klippen für Choristen, vor allem im letzten Satz. Das sieht erst einmal sehr unübersichtlich aus, vor allem für die vier Soprane. Dabei ist es bei näherem Hinsehen ganz einfach, den Klangteppich im „In Paradisum“ zu weben. War das ein Erklärbär-Test für Chorleiter?

Nein, das würde ich nie machen. Der letzte Satz ist vom Text und von der Musik her so, dass ich einen Klangteppich schaffen möchte. Es ist relativ leicht zu singen, ergibt aber diesen Klangteppich. Mit meinem Chor machen wir gerne eine chorische Improvisation. Ich gebe Modelle vor, darüber darf improvisiert werden. Das ist für die Zuhörer phantastisch. Das ist eine Raummusik, die sie umhüllt. Ich wollte erst so etwas notieren, aber ich möchte schon Herr der Komposition sein.

Gibt es einen Satz im „Requiem“, der Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist oder sind Ihnen alle gleich lieb?

Ich habe alle gleich lieb. Den zweiten Satz habe ich schon sehr gerne.

Ich habe irgendwo gelesen, dass Ihre Musik nicht in den Ohren beißt und wenn dann nur dort, wo es angebracht ist. Sie verzichten auf radikale Klangerweiterungen und bewusste Brüche der Tradition. Muss Neue Musik so sein, um Erfolg zu haben? Oder liegt Ihnen diese Radikalität einfach nicht?

Ich schreibe nicht mit dem Gedanken, dass meine Musik weit verbreitet werden soll. Ich schreibe für die Praxis. Ihre Aufführung des Requiems ist die 22., in diesem Jahr die neunte, das freut mich. Alles hat seine Berechtigung, und das vielleicht auch. Ich finde es immer noch phantastisch und toll, dass Kolleginnen und Kollegen sich trauen, das zu machen. Es ist immer auch ein finanzielles Risiko. Die Leute wissen nicht, was sie erwartet. Porr kennt niemand. Mancher sagt auch bei einem Geburtsdatum von 1967, da gehe ich vielleicht nicht hin.

Planen Sie weitere große Chorwerke? Auf was dürfen wir uns demnächst freuen?

Ja, das möchte ich auf jeden Fall, aber ich weiß noch nicht was. Ich bin noch auf der Suche. Ich würde gerne eine Passion schreiben in kleiner kammermusikalischer Besetzung, hätte aber gerne andere Texte dazu. Ich bin auch noch auf der Suche nach jemandem, mit dem ich das erarbeiten kann. Eine Passion mit kommentierenden Texten, die die Leidensgeschichte von einer anderen Seite beleuchten, wäre eine schöne Sache. 2018 möchte ich ein Stück für Kinderchor schreiben. Das wird ein weltliches Stück.

Vielen Dank.

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Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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