Die Frauen von Gandersheim

Mein Vater (85) schreibt jedes Jahr einen Weihnachtsrundbrief an Verwandte und Freunde. Darin beschreibt er nicht seine Zipperlein, sondern berichtet immer über ein bestimmtes Thema. Dieses Mal sind es die Frauen von Gandersheim, meiner Heimatstadt.

Das Thema unseres diesjährigen Weihnachtsbriefes sollen Frauen in Verbindung mit Gandersheim sein. Um 850 wurde hier das Frauenstift gegründet. Töchter von Fürsten lebten wie Nonnen, aber ohne Gelübde. Sie durften wieder austreten, heiraten und ihr Vermögen behalten. Eine Stiftsdame war die erste deutsche Dichterin Roswitha von Gandersheim um 950. Sie schrieb Epen, Dramen und Legenden in lateinischer Sprache. Eine einheitliche deutsche Sprache gab es ja noch nicht. Im Gegensatz zu heutigen leicht-flotten Prosa-Schreibern wurde damals in strengem Versmaß gedichtet, wobei jede Zeile sich reimte und einen Sprach-Rythmus hatte, zum Beispiel den Hexameter.

Roswitha-Stein
1962 wurde vor dem Abteigebäude ein Roswitha-Gedenkstein errichtet. Wie die Dichterin wirklich aussah, ist nicht überliefert.

Roswitha-Brunnen
1978 kam ein Roswitha-Brunnen hinzu, eingeweiht vom Bundespräsidenten.

Gedenktafel
Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen war um 1750 Fürstäbtissin. Als solche unterstand sie nur dem Kaiser, nicht den Herzögen. So „regierten“ die Äbtissinnen „emanzipiert“ das „freiwillige Reichsstift“. Elisabeth schuf barocke Bauten, unter anderem die Abtei mit dem Kaisersaal, und sammelte Bücher, Kunst- und Naturschätze. Ein gewaltiges Grabmal und ein Brunnen erinnern an sie.

Elisabethbrunnen
Der Elisabethbrunnen vor der Abtei

Neben vielen guten Frauen in der Geschichte gab es aber auch „sündige“. Eva von Trott, eine Mätresse des Herzogs Heinrich des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel, wurde nach diesem Ehebruch nach Gandersheim gebracht. 1532 wurde das Gerücht verbreitet, Eva sei hier an der Pest gestorben. Eine Puppe wurde hinter Nebel von Weihrauch in Gandersheim begraben. Eva ritt gesund zur Stauffenburg am Harz, wo sie neun Jahre lang versteckt lebte. Der Herzog besuchte sie regelmäßig, sie hatte zehn Kinder mit ihm (Ich frage mich an dieser Stelle, wie man in neun Jahren zehn Kinder bekommen kann). Martin Luther schrieb 1541 eine Schmähschrift gegen den katholischen Wüstling.

1587 bekam Äbtissin Margarethe von Warberg ein Kind von dem Gutsverwalter, das man tot fand. Sie wurde in Stauffenburg inhaftiert.

Unter der Gandersheimer Abtei ist eine frühromanische Kapelle mit einer langen Geschichte. Sie dient heute den Katholiken zur Anbetung der Mutter Maria.

Marienkapelle
Die romanische Marienkapelle unter der Abtei. Gläubige stellen dort regelmäßig Kerzen auf.
Kerzen für Maria

Heute haben wir eine Bürgermeisterin, eine Landrätin und eine Pröpstin. Man erwartet vieles von einer Frauenquote in Chefetagen. Ob es für die arbeitenden Frauen im Mittelalter und heute günstiger ist, unter einer weiblichen Obrigkeit oder einem Chef zu sein, kommt auf deren Charakter und Wohlwollen an.

Die Stadt vergibt jährlich den Roswitha-Literaturpreis an eine bedeutende Schriftstellerin und den Roswitha-Ring an die beliebteste Schauspielerin der Domfestspiele. Der Landesfrauenrat hat vor fünf Jahren Bad Gandersheim als „FrauenOrt“ anerkannt. Die Stadt und Roswitha sollen dadurch bekannter werden. In einer neuen Broschüre werden 33 Gandersheimer Frauen mit Fotos und Texten besonders hervorgehoben: Ehrenamtliche, aber auch welche mit stolzen Gehältern, Aufwandsentschädigung und Sitzungsgeldern.

Fazit meines Vaters: Nach so vielen Frauen finden wir Männer Trost, dass es noch Nikolaus und Weihnachtsmann gibt.

Mein Fazit: Ich mit Roswitha groß geworden, bin aufs Roswitha-Gymnasium gegangen, als das noch gar nicht so hieß. Die Stadt habe ich längst hinter mir gelassen und komme nur noch selten dorthin. Außer meinen Eltern zieht nicht nichts nach Bad Gandersheim.

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