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Die Allerweltsdecke – gehäkelte Kindheit

Wohl jeder, der eine schöne Kindheit hatte, hat Erinnerungen an diese Zeit, die bleiben. Manchmal sind diese Erinnerungen an Gegenstände geknüpft und blitzen immer dann auf, wenn einem der Gegenstand ins Auge fällt. Bei mir ist es neben anderem die Allerweltsdecke.

Um genau zu sein: mehrere Allerweltsdecken. Mindestens eine davon existiert noch und dient jetzt im Haus meiner Eltern als Tagesdecke in dem Gästezimmer, in dem ich bei Besuchen immer schlafe. Jetzt bedarf es natürlich erst einmal dringend der Erklärung, was eine Allerweltsdecke ist. Kurz gesagt: eine Wolldecke, gehäkelt von jedem, der gerade Zeit hat, mit Wollresten, die gerade zur Hand waren. Alle Welt hat an der Allerweltsdecke mitgearbeitet, deshalb bekamen diese Decken irgendwann diesen Namen.

Einfach alle Wollreste verwertet

Es begann mit einer Decke und mit einem Korb voller Wollreste. Meine Mutter, eine gelernte Hauswirtschafterin und hervorragende Köchin, hat immer viel Handarbeit gemacht. Weil sie es konnte und weil bei vier Kindern nicht so viel Geld im Haus war. Anfangs hat sie sich und uns Kindern alle Kleider selbst genäht. Sie hat Pullover gestrickt und gehäkelt. Da blieben naturgemäß viele Wollreste übrig. Jeder, der strickt oder häkelt, weiß das.

Tanzustundenpaar aus den 70er Jahren.
Tanzstunden-Abschlussball 1974 mit einem von meiner Mutter genähten Abendkleid.

Was also tun mit all den Wollresten? Irgendwann begann meine Mutter, daraus Decken zu häkeln. Immer wenn ein Rest zu Ende war, hat sie einfach mit dem nächsten weitergemacht. Das Ergebnis war bunt. Und die Farbwechsel waren sehr unregelmäßig. Das lag in der Natur der Sache.

Ein paar Wollreste machen eine Decke aber noch nicht zu einer Allerweltsdecke. Da muss noch etwas anderes hinzukommen. Nämlich häkelnde Verwandtschaft oder häkelnder Besuch. Irgendwann bürgerte es sich ein, dass jede Frau – ja, so war das damals – die bei uns zu Besuch war, ein paar Reihen an der Decke weiter häkelte. Wenn ich mich richtig erinnere immer schön Stäbchen, eines nach dem anderen. Doppelstäbchen wären zu luftig gewesen, die Decke sollte ja nicht nur bunt sein, sondern auch wärmen.

Bunte Decke aus allerlei Wollresten,
Die Allerweltsdecke im Gästezimmer meiner Eltern. Ob es die erste war, weiß ich nicht.

Wie die Allerweltsdecke zu ihrem Namen kam

Und so wuchs nicht nur die erste Decke geschwind heran, sondern noch etliche weitere. Spätestens bei der ersten aber entstand der Name Allerweltsdecke. Wie viele davon im Laufe der Jahrzehnte überlebt haben, weiß ich nicht. Aber die eine, vermutlich die erste, gibt es immer noch als Tagesdecke. Für mich nicht nur eine Erinnerung an meine emsige Mutter, sondern auch an viele, viele Verwandtenbesuche, an Omas und Tanten, die ihren Teil an einer Allerweltsdecke beitrugen.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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