Backstein – der unterschätzte Baustoff

Manchmal braucht es nur einen kleinen Anstoß, und man denkt über Dinge nach, die im eigenen Alltag allgegenwärtig sind. Ein schönes Beispiel ist der Backstein, auch Ziegelstein genannt.

Vorweg: Ich lebe in einer Backstein-Gegend. Hier in Schleswig-Holstein ist der Stein, wie im gesamten norddeutschen Raum, allgegenwärtig. Ich lebe seit über 40 Jahren hier im Norden, sodass mir die Bedeutung und die Menge des Ziegelsteins hierzulande gar nicht mehr auffällt. Thomas hat mir mit einem Post bei Bluesky und einem Blogbeitrag über den Ziegelstein den Anstoß gegeben, darüber nachzudenken und zu schreiben. Thomas fordert auf: „Schau Dir den Ziegelstein genau an!“

Ich weite mal den Blick und schaue mir nicht nur den Ziegelstein an, sondern alles, was hierzulande aus Backstein erbaut worden ist. Nicht umsonst gilt Lübeck, die Stadt, in deren Umgebung ich lebe, als eine der Wiegen der Backsteingotik und St. Marien, die große Bürgerkirche, als Mutter der deutschen Backsteingotik. Und auch das berühmte Holstentor ist aus vielen, vielen Backsteinen zusammengesetzt.

Das Holstentor in Lübeck, ein Bauwerk aus Backstein.

Das Holstentor in Lübeck, ein Bauwerk aus Backstein.

Backstein an jeder Ecke

Es muss nicht immer ein Bauwerk von nationaler Bedeutung sein. Wer sich hier umschaut, sieht überall Backstein. Die historischen Häuser der Lübecker Altstadt sind größtenteils aus Ziegelsteinen gebaut, nur ein kleiner Teil ist verputzt. Ältere Fabrikgebäude sind aus Backstein, und sogar fast alle Einfamilienhäuser. Selbst heute ist das Material noch das am häufigsten verwendete. Wer genau hinsieht, entdeckt, dass es ein Werkstoff ist, der sich in jeder gewünschten Form gestalten lässt.

Lübecker Altstadtgiebel
Backstein-Fassaden in der Lübecker Altstadt.

Auch unser Haus, 1963 als Direktorenhaus der gegenüberliegenden ehemaligen Ziegelei erbaut, ist natürlich aus Ziegeln. Aus denen, die Arbeiter auf der anderen Straßenseite gebrannt haben. Solche Rotsteinhäuser, wie sie auch heißen, haben einen großen Vorteil: Sie müssen nicht regelmäßig gestrichen oder ausgebessert werden. Was einmal mit Backsteinen erbaut oder verkleidet wurde, bleibt immer ansehnlich. Wie die berühmten Bauwerke beweisen sogar über Jahrhunderte.

Nach Hause kommen
Unser Haus im Winter. Backstein sieht immer heimelig aus.

Wer nun glaubt, Backstein sei ein schlichtes und einfaches Material, der irrt. Schon immer ist er sehr kunstvoll verwendet worden. Und selbst der einzelne Stein ist in sich ein kleines Wunder. Thomas schreibt: „Wirf einen Blick auf ihn! Wo ist er denn? Wie sieht er aus? Rötlich oder mehr ocker? Hart oder weich gebrannt? Im Ring- oder Langofen entstanden? Vielleicht sogar ein Feldbrandstein? Welches Format hat er?“ Und dann bleibt noch die Frage, wie er verarbeitet wurde. In meinem Studium der Kunstgeschichte habe ich einiges darüber gelernt. Es gibt den Läuferverband, den Blockverband, den Kreuzverband und viele mehr. Dann wird auch noch zwischen Läufer und Binder unterschieden.

Details und das große Ganze

Was erstens zeigt, dass das Maurerhandwerk schon immer und bis heute ein sehr anspruchsvolles ist. Und dass wir zweitens genauer hinschauen sollten, wenn wir auf Ziegelwände aller Art treffen. Es geht eben nicht nur ums große Ganze. Oder um noch einmal Thomas zu zitieren, der den Bogen von den Ziegelsteinen zu Robert M. Pirsigs Roman „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ schlägt: „Dann kommt es darauf an, die Ziegelsteine selbst zu einem Bild der Realität zusammenzusetzen, zu einem Gebäude aus lauter fein betrachteten Einzelteilen, die auch entgegen aller Einwände Pirsigs gegen die klassische Rhetorik ein perfektes Ganzes ergeben.“

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