Phrasenalarm: Die pure Natur hautnah anfassen
Natur pur ist das da draußen gerade, wo der Frühling trotz zurzeit für eine Frostbeule wie mich eher arktischen Temperaturen aus allen Knopflöchern platzt. Nun will ich hier aber nicht über den Frühling philosophieren, sondern über das kleine Wörtchen pur. Gerne übrigens mit einem Ausrufezeichen versehen. Pur!
Für Menschen, die sich mit Sprache beschäftigen, ist dieses „Natur pur (!)“ eine schreckliche Plattitüde. Phrasenalarm hoch drei. Übrigens auch nicht besser in der Kombination Kultur pur, die es eher selten zu lesen gibt. Und wo wir gerade bei Phrasenalarm sind. Das pure Grauen überkommt mich immer, wenn ich etwas anfassen soll. Etwa Politik. Der Slogan „Politik zum Anfassen“ – schon mal etwas angefasst, das gar nicht stofflich ist? – wird auch nicht besser, weil es einen gleichnamigen Verein der Bundeszentrale für politische Bildung gibt.
Noch schlimmer ist übrigens das Wort hautnah. Erstens wird das auch in eher schwer umsetzbarem Zusammenhang gebraucht: Geschichte hautnah erleben. Wo bitte hat die Geschichte ihre Haut sitzen? Das frage ich mich auch bei der Quantenenergie, dem Polizeialltag und dem Consulting. Und zweitens gibt es Dinge, denen will ich gar nicht so nahe kommen, dass ich sie hautnah erlebe. Manchmal wird versprochen, Spitzensportler oder Fußballstars hautnah zu erleben. Wer will schon einen verschwitzten Sportler am Arm oder an der Backe kleben haben?
Aber bitte, wenn schon Phrasen, dann gleich das volle Pfund. Das Zugspitzdorf Grainau knausert nicht, und bietet fast alles auf einmal an: Natur pur und hautnah erleben. Darf ich die Natur dann auch anfassen?
3 Kommentare
Dieter
Hi Susanne,
mal wieder ein richtig scharfer Artikel zum Anfassen und diskutieren :-) . Was Du hier einforderst ist die Klarheit der Sprache. Zumindest verstehe ich den Artikel so. Aber wollen wir wirklich in einer Welt ohne Phrasen leben?
Mit Phrasen soll ja eine Unschärfe der Aussage erreicht werden. Es wäre doch langweilig wenn Dein Zugspitzdorf Grainau schreiben würde: Bei uns ist die Langeweile Stammgast.
Wobei ich am Wochenende von unserem Ältesten (32 J.) zurecht gewiesen wurde. Meine Frage war „Gehst Du heute Abend auf die Bierbörse?“. Antwort: „Das sagt man heute nicht mehr so. Heute heisst es: Du, Bierbörse?“ Als Rheinländer hat man ja schon viel mit Sprache zu kämpfen. Aber das war die Krönung.
Ärgerlich finde ich Phrasen nur in typischen Werbeschreiben. Wie etwa „…wir freuen uns auf Sie…“. Hier haben aus meiner Sicht Werbetexter und Agenturen komplett versagt, weil man sich mit einer Rücklaufquote von ca. 3% zufrieden gibt.
Einen lieben Gruß zum Anfassen
Dieter
Susanne
Lieber Dieter,
vielen Dank für Deinen wieder mal sehr guten Kommentar.
Was mich an Phrasen so stört, ist natürlich die fehlende Klarheit, vor allem aber, wenn sie immer in Massen auftreten, was ja die Natur – ohne pur – der Phrase ist. Für mich sind solche Formulierungen auch ein Zeichen dafür, dass sich jemand keine Mühe gegeben hat, nach dem treffenden Ausdruck zu suchen. Schreibfaule greifen zu Phrasen, anstatt mal einen Moment nachzudenken, was sie wie ausdrücken wollen.
Was Grainau angeht: Gerade wenn ich Kunden zu etwas locken will, ist doch eine kraftvolle und klare Sprache allemal besser, als irgendwelche Phrasen zu dreschen. Lässt sich Natur nicht besser beschreiben?
Liebe Grüße,
Susanne
Dieter
Hi Susanne,
nur mal so auf die Schnelle mangels Zeit. Rechtschreibfehler in Zeitungen finde ich wesentlich schlimmer als jede Phrase. Ein Beispiel aus meiner Nachbarschaft: http://www.rga-online.de . Übelste Schreibfehler, flache Berichterstattung.
Besonders sichtbar die Headline des Artikels „Radakteur im Selbstversuch“. Viel Spaß :-)