Hysterie oder reale Erfahrung? Sag‘ mir wo die Trolle sind
Ich lebe in einer anderen Welt. Ich bin keine richtige Frau, nicht hübsch genug. Ich bin nicht normal. Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin unsensibel. Ich habe einfach keine Ahnung. Stimmt alles. Muss alles stimmen. Denn ich weiß nicht warum, aber alles Schlimme, was sich da draußen im weltweiten Netz – genauer: in dem um mich herum – abspielt, sehe ich nicht, passiert mir nicht. Was ist los mit mir?
Trotz meiner handverlesenen Timeline bei Twitter und meines ähnlich handverlesenen Feedreaders prasseln sie von allen Seiten auf mich ein: Äußerungen, Texte, Beschwerden über sogenannte Hater, Trolle, Orks. Na klar, was da im Netz pulsiert, ist weit weg vom realen Leben draußen auf den Straßen und Plätzen. Aber dennoch nimmt es bei allen, die sich regelmäßig im Internet bewegen, einen großen Raum ein. Sexistische Sprüche, Anmache, ja sogar Morddrohungen übelster Art werden offenbar über vielen Netz-Autoren ausgeschüttet. Jedenfalls wenn ich ihren Texten glauben darf.
Aber wo sind sie, diese Trolle und Hater? Ihre Kommentare sind nirgends zu sehen, werden angeblich nie freigeschaltet, stets gleich gelöscht. Wie kann ich überprüfen, ob die Unkultur in den Kommentaren und Tweets wirklich so groß ist, wie sie dargestellt wird? Wie real ist die Hetze? Und wie viel davon ist nur gefühlt? Ist Widerspruch immer gleich Hass? Muss Kritik stets als Angriff verstanden werden?
Das Nuf hat gerade einen lesenswerten Blogbeitrag über die Hilflosigkeit gegenüber Trollen geschrieben. Sie hat sich viele gute Gedanken dazu gemacht, wie mit böswilligen Kommentaren und Kommentatoren umzugehen ist. Als Auslöser für ihren Text führt sie Vorträge und Artikel an, die von solchen Hatern und Trollen handeln. Allerdings steht kein Wort in dem Text, dass Das Nuf selbst schon einmal solche Angriffe erlebt hat. Hat sie? Ich weiß es nicht.
Aber zunächst eine Klarstellung: Ich unterscheide zwischen Trollen – also Leuten, die mit ihren Internetkommentaren Diskussionen stören – und den im Netz so viel beschworenen Trollen-Hatern-Orks, die nicht die Diskussion stören, sondern die hinter den Texten und Meinungen stehenden Menschen niedermachen. Und dann unterscheide ich noch einmal zwischen niedermachen, wie es nicht schön, aber strafrechtlich nicht relevant ist, und strafbewehrten Äußerungen wie der Drohung von Mord oder Vergewaltigung. Ich schreibe hier weder über trollige Kommentatoren noch über Straftäter. Sondern über die, die angeblich ihren Hass über Internet-Autoren ausschütten, die Blogger niedermachen oder persönliche Angriffe gegen Texter starten. Und ich beschränke mich dabei weitgehend auf Kommentare nichtkommerzieller Seiten beziehungsweise von Seiten, die nicht zu den großen Nachrichtenportalen gehören. Wie es uns Journalisten in Sachen Trollen geht, hat Andrea Diener gerade im Beitrag „Meine Tage im Hass“ auf faz.net beschrieben. Solche Briefe gab es übrigens schon früher in Redaktionen, vielleicht nicht in der Masse, aber in dieser Schärfe. So manche Morddrohung ist früher auf Papier bei mir eingegangen.
Aber zurück zum Netz und zur Blogosphäre. Wo sind sie also die Hater, Trolle und Orks? Ich habe sie noch nie getroffen. Ist mein Umfeld besser als das anderer Menschen? Wohl kaum. Ich glaube vielmehr, dass die Menschen besser sind als ihr Ruf. Ja, auch die Männer, denen gerade in Feminstinnen-Kreisen ständiges Trollen und Haten unterstellt wird.
Ich möchte es mal ganz knapp formulieren: Jede Gruppe hat ihre Arschloch-Quote. Aber die ist auch unter Kommentatoren im Netz nicht größer als in jeder anderen Gruppe. Alles andere ist herbeigeredet.
Aber vielleicht gibt es ja eine ganz andere Erklärung dafür, dass Trolle mich meiden. Ich bin selbst einer.
Noch ein Nachsatz:
Gerade von Feministinnen wird immer wieder behauptet, sie würden ständig und überall sexuell belästigt: angetatscht, mit sexualisierter Sprache angesprochen, nur als Wesen mit Po und Busen wahrgenommen, statt als Menschen. Komisch, das erlebe ich als Frau ganz, ganz anders. Die Äußerung einer Feministin dazu, ich sei vermutlich nicht attraktiv genug und könnte deshalb nicht über solche Erfahrungen berichten, ist eine Unverschämtheit. Zugegeben, ich bin nicht mehr taufrisch. Aber ich war auch mal jung und bin nicht so hässlich, dass mich ein Mann nur mit der Kneifzange anfassen würde. Ich gehe vielmehr davon aus, dass Männer viel besser sind als ihr Ruf. Siehe Archloch-Quote.
Über den Umgang mit Kritikern, Trollen und Hatern im Netz hat Thomas Liedl einen angenehm unaufgeregten Text geschrieben.
2 Kommentare
uemit
Schau dir einmal bitte diesen Beitrag dazu an:
http://youtu.be/ah8mhDW6Shs
Ist aktuell und auch nur 16 Minuten lang.
Thomas
Guter geschriebener Text zu einer Thematik, die wohl nie komplett enden wird. Gehört eben mit zum „Geschäft“ wenn ich das mal so sagen darf ;-) .