Gerade gekauft: Hitlers Interviews von Lutz Hachmeister und Krieg von Lee Miller.
Pyropro

Lee, Hachmeister, Semsrott: Drei neue Bücher, drei kurze Rezensionen

Ich bin rückfällig geworden. Ich habe Bücher gekauft. Das hat Gründe, und die heißen Lee, Hachmeister, Semsrott und Franzen.

Jedes Jahr in den Wochen vor Weihnachten ist Zeit für Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Nicht nur für Belletristik, sondern auch für Sachbücher. Ich weiß nicht, ob ich dieses Mal aufmerksamer war für das, was neu ist, oder ob das Angebot so überzeugend war. Jedenfalls bin ich schwach geworden und habe binnen Tagen gleich vier neue Sachbücher gekauft. Zwei habe ich ganz bewusst gesucht, über zwei weitere bin ich im Buchhandel gestolpert und habe sie mitgenommen.

Gesucht habe ich nach „Hitlers Interviews“, Untertitel „Der Diktator und die Journalisten“* von Lutz Hachmeister. Der kürzlich verstorbene Publizist, Filmemacher und Medienforscher hat sich damit eines Themas angenommen, das ich mir nie richtig bewusst gemacht habe. Natürlich hat Hitler, wie bei Politikern üblich, Interviews gegeben. Und natürlich haben sich Journalisten stets um Interviews mit Hitler bemüht, manche früher, manche später.

Interviews der besonderen Art

Warum bin ich nie auf die Idee gekommen, dass es Hitler-Interviews gegeben haben könnte? Vermutlich deshalb, weil ich die heutige Vorstellung von Interviews im Kopf hatte und mir schwer vorstellen konnte, wie das bei einem solchen Diktator funktioniert haben sollte. Wie speziell bei Hitler solche Interviews abgelaufen sind, hat der US-amerikanische Journalist Karl von Wiegand auf den Punkt gebracht: „Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede“. Dass Fragen vorher eingereicht und Interviews hinterher autorisiert werden mussten, versteht sich von selbst.

Das Buch listet alle Auslandsinterviews auf, die Hitler gegeben hat. Nun stammen die meisten dieser von Hachmeister vorgestellten Gespräche aus der Frühzeit von Hitlers politischer Betätigung, viele aus den 1920er Jahren und frühen 1930er Jahren. Nach 1942 sind dagegen nur noch drei Interviews sowie ein angebliches Interview auf der Interview-Liste im Anhang aufgeführt.

Das Buch enthält nicht die Interviews selbst, sondern erzählt ihre Geschichte und die ihrer Autoren. Hachmeister widmet den Journalisten ausführliche Biografien und gibt so einen tiefen Einblick in den damaligen Medienbetrieb. Die Kapitel sind unter anderem unterteilt nach Nationen, es geht um US-amerikanische, britische und Journalisten der Achsenmächte, aber auch um Scharlatane und Undercover-Journalisten.

Hachmeister entlarvt die Journalisten

Nicht alle kommen gut dabei weg. Hachmeister deckt mal ihre Nähe zum NS-System, mal ihre Naivität oder ihre Servilität gegenüber dem Diktator auf oder wie sie sich instrumentalisieren ließen. Und er widmet sich auch denen, die die Interviews vermittelten. Mindestens ein Name dürfte vielen bekannt sein: Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, in den 1930er Jahren Auslandspressechef der NSDAP.

Das Buch bietet insgesamt einen gut lesbaren Überblick über Hitler und die internationalen Medien. Wer sich für die Geschichte des Journalismus interessiert, bekommt viele spannende Einsichten. Erhellend ist zudem der Epilog: „Wie interviewt man einen Diktator – und warum überhaupt“. An Beispielen von Interviews mit Saddam Hussein und Wladimir Putin zeigt Hachmeister auf, dass und wie solche Befragungen scheitern können und dass auch heutige Journalisten nicht davor gefeit sind.

Gerade gekauft: Hitlers Interviews von Lutz Hachmeister und Krieg von Lee Miller.
Gerade gekauft: Hitlers Interviews von Lutz Hachmeister und Krieg von Lee Miller.

Die Kriegsreportagen von Lee Miller

Ein Zufallsfund, die mir bei der Suche nach Hachmeisters Buch in die Hände fiel, ist „Krieg – Reportagen und Fotos“ von Lee Miller*. Es sind Fotos und Texte für die „Vogue“, die entstanden, als Lee Miller von 1944 bis 1945 als Kriegsreporterin mit den Alliierten durch Europa zog. Ich kenne Lee Miller vor allem als Muse und Lehrling von Man Ray. Ihre Kriegsreportagen sind mir erst später bekannt geworden. Gerade habe ich den Film „Die Fotografin“ gesehen, der diese Geschichte erzählt. Der Sammelband ihrer Texte und einiger ihrer wichtigsten Fotos kam da gerade recht.

Es sind Reportagen aus der Hölle, die dort zusammengetragen sind. Das Erstaunliche daran sind nicht Millers Fotos. Dass sie eine begnadete Fotografin war und auf diesem Gebiet ein großes Wissen und ein gutes Auge hatte, ist allgemein bekannt. Sie hatte schon vor dem Krieg eine fotografische Karriere. Erstaunlich sind ihre Texte. Lee Miller schreibt über die Belagerung von St. Malo genauso zupackend und direkt wie über ihre Erlebnisse im gerade befreiten Konzentrationslager Dachau.

Dabei macht sie oft ganz nebenbei deutlich, wie sehr der Krieg und die Untaten der so von ihr so bezeichneten „Hunnen“ die Menschen abgestumpft haben: „“Die Leichen wurden umstandslos herausgezerrt und draußen vor dem Block auf einen Haufen geworfen. Niemanden außer mir schien das zu stören.“ Matthias J. Lange schreibt in seiner Rezension zum Buch sehr treffend: „Die Texte und Bilder wirken, sie sind ein heftiger Schlag in die Magengrube.“

Die „Machtübernahme“ von Arne Semsrott

Das dritte Buch, das in einer Buchhandlung in meinem Warenkorb landete, ist „Machtübernahme“* von Arne Semsrott. Was passiert, wenn Nazis die Macht übernehmen, schildert das Miller-Buch anschaulich. Semsrott skizziert, was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren und will sein Buch als Anleitung zum Widerstand verstanden wissen. Er beschreibt, wie die Partei nach Beginn einer Regierungsbeteiligung der AfD damit beginnt, den Staat von innen auszuhöhlen. Über Machtstrukturen, etwa im Beamtenapparat, über das Streichen von Zuschüssen und über den Innenangriff auf die Justiz.

Buchtitel "Machtübernahme" von Arne Semsrott.
Arne Semsrott versteht sein Buch als Anleitung zum Widerstand.

Es sind die Mechanismen, die bei jedem Regierungswechsel nach und nach greifen. Aber wenn Rechtsextremisten sie anwenden, bleibt die Frage, welche Konsequenzen das langfristig hat und ob sich diese Verschiebungen je wieder zurückdrehen lassen. Gleichzeitig gibt Semsrott Anleitungen zum Widerstand. Viele sind nachvollziehbar, etwa als Unternehmen keine Aufträge von der AfD anzunehmen oder an Demokratie-Initiativen zu spenden. Andere Vorschläge muten abstrus an, etwa der, Schutzehen einzugehen, um anderen Menschen zu ermöglichen, einen deutschen Pass zu bekommen.

Semsrott leitet das Recherche- und Transparenzportal FragDenStaat, ist Otto-Brenner-Preisträger für kritischen Journalismus und Aktivist. Gerade das Aktivistische dringt in seinem Buch deutlich durch. Und so ruft er immer wieder zu Spenden und zur Unterstützung auf, auch und gerade für FragDenStaat. Das ist mir beim Lesen doch etwas aufgestoßen.

Ob Semsrott mit seiner Beschreibung, wie eine Machtübernahme ablaufen könnte, recht hat, will ich gar nicht wissen. Das müssen wir wirklich nicht erleben. Die von ihm beschriebenen Szenarien mögen bitte niemals eintreten. Sollte es doch so weit kommen, zeigt das Buch eine ganze Reihe von Möglichkeiten zum Widerstand jenseits der Schutzehen auf. Und hat damit allemal seinen Wert.

Dem vierten Sachbuch, das ich in diesen Wochen gekauft habe, habe ich eine eigene Rezension gewidmet. „Wut und Wertung“ von Johannes Franzen hat eine ausführliche Beschreibung verdient. Die ist hier bereits erschienen.

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Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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