Fast gar nicht verschwurbelt: der Koalitionsvertrag

Als Wortjägerin traue ich amtlichen Papieren zunächst grundsätzlich nichts Gutes zu was Verständlichkeit und schlankes Deutsch angeht. Als ich jüngst etwas im gerade abgeschlossenen Koalitionsvertrag nachsehen wollte, war ich doch überrascht. Er ist deutlich schlanker formuliert, als ich erwartet hatte, enthält aber auch ein paar Schwurbelwörter.

Auf 175 Seiten haben CDU, CSU und SPD ihre Vereinbarungen und Ziele für die 19. Legislaturperiode festgelegt. Ich weiß nicht, wer genau den Text formuliert hat, aber der oder die Autoren haben sich um kurze Sätze und Verständlichkeit bemüht. Vorweg: Sie schreiben in der Wir-Form. Zum Glück. Das „man“, mit dem viele Leute sich selbst benennen, ist ganz fürchterlich, unpersönlich und hölzern. Sätze aus der Präambel wie „Wir investieren in unser Land.“ oder „Wir wollen eine neue Dynamik für Deutschland.“ sind zwar inhaltlich eher schwammig, aber kurz und knackig formuliert, ohne Fremd- und Schwurbelwörter und erfrischend leicht zu lesen und zu verstehen.

Ausreißer

Nur manchmal bricht der Hang zur Substantivierung bei den Autoren durch, etwa wenn sie von Schwerpunktsetzungen, Beantragung, Verstetigung, Rechtsdurchsetzung oder Abschaffung schreiben.

Und dann gibt es noch ein paar der sicher für viele rätselhaften Begriffe: Kohäsionspolitik, gelebte Subsidiarität, kohärente Afrika-Strategie oder Wagniskapital. Solche Fachbegriffe musste ich allerdings mit der Lupe suchen.

Dann ist da schließlich mein Lieblingssatz. Er erfüllt all das, was ich vom Koalitionsvertrag erwartet hatte und nicht bekommen habe.

Wir werden den Investitionshochlauf auf einem Rekordniveau für die Verkehrsinvestitionen mindestens auf dem heutigen Niveau fortführen. (Zeile 3370).

Überhaupt fällt der Absatz Finanzierung/Verkehrsinvestition aus dem von mir so gelobten sprachlichen Rahmen. Da ist von Überjährigkeit die Rede und von prioritären Projekten. Sätze wie diesen bestätigen meine Vorurteile dann doch:

Im neuen Verkehrsinfrastrukturzustandsbericht werden wir transparent die prioritären Erhaltungsmaßnahmen nach Bundesländern aufführen.

Straßenbau, um es mal unter einem pauschalen Begriff zusammenzufassen, kommt offenbar nie ohne Schwurbeldeutsch aus.

Fazit

Der Koalitionsvertrag ist keine spannende Lektüre, schon gar kein literarisches Werk. Aber er ist ein über weite Strecken gut geschriebener und leicht verständlicher Text. Das hätte ich der Politik gar nicht zugetraut. Ist doch schön, wenn die eigenen Vorurteile widerlegt werden.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert