Sich über die Achtsamkeit ehrlich machen
Sie tauchen auf aus dem Nichts: Neue Wörter oder Formulierungen, die jahrzehntelang kaum jemand gebraucht hat und die plötzlich – Achtung! Floskel! – in aller Munde sind. Zwei Beispiele fallen mir zurzeit besonders auf.
Achtsamkeit
„Achtsamkeit kann als Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand verstanden werden, als spezielle Persönlichkeitseigenschaft sowie als Methode zur Verminderung von Leiden. . .“ schreibt die Wikipedia. Kennen wir alles, wird seit Jahren von mehr oder weniger esoterisch angehauchten Menschen empfohlen und betrieben. Ob Meditation, asiatische oder homöopathische Methoden für angeblich besseres Wohlbefinden oder fließendes Qi, gutes Karma oder heile Aura – allerlei egozentrische Wege zu mehr Zufriedenheit machen schon lange die Runde. Seit einiger Zeit aber firmiert all das und viel mehr unter Achtsamkeit, wahlweise auch achtsam sein. Es gibt sogar schon Achtsamkeitstrainer. Der Achtsame, versprechen sie, dämpfe mit ein paar Übungen den Gedankenstress. Aber Achtung, auch das habe ich bei der Recherche gelesen, Achtsamkeit ist nichts für Entschleuniger, weil sie sich damit erneut unter Stress setzen.
Achtsamkeit will also mit Achtung beachtet werden. Dann wird sie vielleicht auch bald ihren Status als Modewort verlieren. Man muss nur lange genug darüber reden, dann verlieren solche Erscheinungen einen Teil ihrer Bedeutung. Das vor kurzem allgegenwärtige Burnout hat inzwischen bereits seinen Zenit überschritten. Aber ich bin sicher, nach der Achtsamkeit kommt noch etwas, an das wir noch gar nicht denken.
Ehrlich machen
Gerne von Politikern bei Debatten über die Flüchtlingsfrage verwendet, aber auch sonst oft zu hören. Wie sollen uns doch endlich mal ehrlich machen. Zuvor waren es vor allem Steuersünder, die sich ehrlich machen sollten, aber auch sonst kam dieser Ausdruck immer mal wieder vor. Spätestens seit den Ereignissen Silvester am Kölner Hauptbahnhof hört man es allenthalben. „Sich ehrlich zu machen“ klingt für mich wie das neue „Das wird man doch noch sagen dürfen“. Häufig hat es in Zusammenhang mit Flüchtlingen einen abwertenden Beigeschmack.
Sich ehrlich machen – darüber kann ich mich nur lustig machen. Das entspannt die Gedanken, und damit bin ich achtsam mir selbst gegenüber. Ist doch alles ganz einfach, oder?