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Pop und Politik – das Fan-Gen fehlt

Etwas kryptischer Titel, ich weiß. Aber er fasst für mich zusammen, was mich während des gerade vergangenen Bundestagswahlkampfes bewegt hat und worüber ich mir immer mal wieder Gedanken mache. Was treibt Menschen an, sich ohne Wenn und Aber einer Sache zu verschreiben, und warum gelingt mir das nicht. Offenbar fehlt mir das Fan-Gen.

Meine Grundstimmung ist die Gelassenheit. Ich betrachte vieles von außen, wundere mich und bewerte es ohne allzu große Aufregung. Das war schon immer so. Aber nie ist es mir so bewusst geworden wie im Wahlkampf. Dass Plakate an den Straßenrändern stehen, kennt man. Was mir dieses Mal aufgefallen ist, ist die Hingabe und Verve, mit der Menschen auf sozialen Netzwerken, besonders bei Facebook, für ihre Partei werben. Für die, bei der sie Mitglied sind, aber auch für die, der sie nur zugeneigt sind, ohne sich dort zu engagieren. Was mich aber besonders wundert, ist die rückhaltlose Begeisterung für eine Partei. Da hat Kritik offenbar keinen Platz.

Jeder von uns findet eine Partei besser als die anderen, weil einem deren Ausrichtung, politische Vorhaben oder Haltung gefallen. Das kann ich nachvollziehen und finde ich richtig. Dennoch bleibt doch auch bei jeder geliebten oder beliebten Partei etwas, was einem nicht zusagt. Etwas, wo der Wähler dieser Partei nicht mitgehen kann, was er vielleicht sogar ablehnt. Die Wahl einer Partei, ob im Kopf oder auf dem Stimmzettel, ist immer ein Kompromiss. So sehe ich das.

Umso mehr wundere ich mich über die Hingabe der Parteigänger, sprich Parteimitglieder. Ob es beim Jubel oder bei den herunter gesackten Mundwinkeln bei der Prognose am Wahlabend ist oder bei Parteiveranstaltungen. Jubeln, gar Fahnen schwenken oder Spruchbänder hochhalten – das ist mir fremd. Dafür fehlt mir das Fan-Gen, die Ausstattung, sich fanatisch, und nichts anderes heißt Fan sein, einer Partei oder Bewegung hinzugeben.

Das habe ich schon als Jugendliche gespürt. In meinem Zimmer hingen weder Bravo-Starschnitte noch andere Poster. Ich habe nie und kann bis heute nicht verstehen, warum Menschen fanatisch Fans von irgendwelchen Sängern oder Schauspielern sind. Und noch weniger kann ich nachvollziehen, wie harsch sie bisweilen auf Kritik an ihren Stars reagieren. Den größten Shitstorm meines Lebens habe ich mir eingehandelt, als ich etwas Kritisches über Daniel Küblböck geschrieben habe. Ihr erinnert Euch, dieses DSDS-Gewächs, das sich auf einer Bühne nicht benehmen konnte und ins Mikrophon rülpste. Das hätte ich nicht schreiben dürfen.

Mein Unverständnis gilt übrigens auch für Fußballfans. Ich würde mir nie, nie, nie eine HSV- oder sonstige Flagge in den Vorgarten stellen. Werder-Bremen-Bettwäsche, Bayern-München-Aufkleber oder Schalke-Schals haben bei mir keine Chance, und das nicht nur, weil mich Fußball nicht interessiert.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder kann sich ausleben, wie er möchte. Ich mache niemandem Vorschriften. Wer Borussia-Dortmund-Socken mit einem Helene-Fischer-Shirt und einem CDU-Käppi kombinieren und damit auf die Straße gehen möchte, soll das gerne tun. Aber verstehen muss ich das nicht. Und nachmachen schon lange nicht.

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Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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