gedacht,  Pyrocontra

Fuge und Volte: Das Wissen vom Nichtwissen

Menschen, die einem Hobby frönen, sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Kommt jemand von außen hinzu, kommt es zunächst zu Verständigungsschwierigkeiten. Denn verschworene Gemeinschaften nutzen Fachbegriffe, die sich nicht jedem sofort erschließen. Manchmal sind es sogar solche, die bei vielen, aber eben nicht bei allen Menschen zum Wortschatz gehören, die Teil der Allgemeinbildung sind. Soll, darf ich über Nichtwissen die Nase rümpfen? Nein, und deshalb musste ich mich selbst zur Ordnung rufen, sogar zwei Mal in jüngster Zeit.

Was bitte ist eine Fuge?

Chorprobe. Auf dem Probenplan steht das Gloria von Antonio Vivaldi. Wie viele Oratorien verfügt es über eine Fuge. Der Chorleiter sagt an, dass er nun noch einmal die Fuge proben wollen. Eine junge Frau neben mir, neu im Chor, blickte verständnislos. Die Fuge? Was soll das sein? Kurze Erklärung meinerseits: ein Kanon für Fortgeschrittene, fortgeschrittene Komponisten wie Sänger. Das trifft es zwar nicht ganz, aber es war doch die schnellste Erklärung, die mir einfiel. Innerlich schüttelte ich etwas den Kopf, dass jemand nicht weiß, was eine Fuge ist.
Cum Sancto Spiritu, die Fuge aus dem Gloria:

Keine Spur von einer Volte

Reitunterricht. Zwei Reiter in der Bahn, ich und eine Anfängerin auf dem neuen, braven, aber antriebslosen Familienpferd. Kommando der Reitlehrerin: Volte, dann marsch. Reaktion der Reiterin hinter mir: keine. Ergebnis: Beinahe-Pferde-Kollision. Der Grund lag schlicht darin, dass die Reiterin nicht wusste, was mit dem Kommando Volte marsch gemeint ist. Nach einer Erklärung der Lehrerin klappte es, nicht gut, aber immerhin.

Zwei kleine Vorfälle, nichts gravierendes. Aber es hat mich etwas gelehrt: Ich neige zu einer gewissen Hochnäsigkeit. Wie können die das nicht wissen? Ist das nicht Allgemeinbildung? Nein. Nur weil mir beide Begriffe und viele andere seit Jahrzehnten in Fleisch und Blut übergegangen sind und ich sie ohne nachdenken benutze oder nach ihnen handele, heißt das noch lange nicht, dass jeder sie auf Anhieb versteht. Das ist normal, darüber muss, nein darf ich mich nicht mokieren. Nicht mal innerlich.

Waren wir nicht alle einst Anfänger? Gab es nicht eine Zeit, in der ich nicht wusste, was eine Fuge, was eine Volte ist? Ich kann mich zwar nicht mehr daran erinnern, aber es muss so gewesen sein. Ich habe die Fuge und die Volte nicht mit der Muttermilch aufgesogen.

Außerdem gibt es bestimmt etliche Fachgebiet oder Hobbys, deren Fachbegriffe ich nicht kenne. Hätte ich,was nie passieren wird, meine erste Unterrichtsstunde im Surfen, würde beim Modellbau mitwerkeln oder einen Angelschein machen wollen, ich würde mich gegenüber den alten Hasen bis auf die Knochen blamieren. Dieses Wissen übers Nichtwissen habe ich jetzt immer im Hinterkopf. Es macht mich demütig, zwingt meine Hochnäsigkeit in die Niederungen des Anfängertums.

Merken

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert