Das Unbehagen der Urheber
Ich bin Urheber von Beruf. Mit urheben verdiene ich tagtäglich und das schon seit Jahrzehnten mein Geld. So richtig nachgedacht habe ich darüber bisher nie. Ich verstehe mich in erster Linie Redakteurin, Reporterin, Fotografin und in meinem Selbstverständnis erst in zweiter Linie als Urheberin. Aber diese Urheberei rückt immer mehr ins Bewusstsein, und das gefällt mir ganz und gar nicht.
Ein Urheber ist laut Wörterbuch jemand, der entweder etwas bewirkt oder veranlasst oder der ein schöpferisches Werk schafft, also sozusagen etwas anderes schöpft als Wasser oder sonst eine Flüssigkeit. Die Schöpfungshöhe will ich hier mal außen vor lassen. Ich schreibe Tag für Tag, ich fotografiere Tag für Tag, neuerdings mache ich sogar Videos, nicht Tag für Tag, aber immer öfter. Damit bin ich also eindeutig Urheberin.
Kein Handwerk
Der Urheber unterscheidet sich vom Handwerker oder Industriellen dadurch, dass er nicht stoffliche Werke schafft, sondern geistige. Wobei die Trennung nicht ganz eindeutig ist: Ein Bildhauer bearbeitet einen Stein handwerklich und damit genauso wie ein Steinmetz, der Bildhauer ist aber Urheber, der Steinmetz Handwerker.
Wir Schreiber, Blogger, Fotografen, Komponisten und viele andere geistigen Schöpfer haben, so geht es mir zumindest, den Urheber-Status in jüngster Zeit mehr und mehr verinnerlicht. Das Urheberrecht rückt stetig weiter in den Mittelpunkt des Interesses, leider aus weniger erfreulichen Anlässen. Es gibt zunehmend Grund zur Sorge.
Sorgen der bloggenden Urheber
Die Schlinge zieht sich immer enger zusammen, vor allem um selbstständige Urheber wie Blogger. Seitdem sich die EU mit dem Urheberrecht beschäftigt, kommt nicht viel Gutes dabei heraus. Die irre Mehrarbeit, den großen Aufwand, den die Datenschutzgrundverordnung mit sich brachte, haben die meisten Blogger gerade noch stemmen können. Was das neue EU-Urheberrecht bringt, ist noch gar nicht abzusehen. Zunächst mal Verunsicherung und offenbar den guten Ratschlag, die Kommentarfunktion komplett ab- oder Kommentare nur noch händisch freizuschalten.
Kiki von e13.de hat es bereits gemacht. Alle Kommentare von 2005 bis 2019 hat sie auf einen Streich gelöscht. Grund war nicht eine Urheberrechtsfrage, sondern ein DSGVO-Anfrage. Eine Bitte um Datenauskunft, deren Beantwortung viel, viel Arbeit machte. Was für ein Elend.
In einer Stunde reagieren
Es könnte noch schlimmer kommen. Der Bloggerclub und Henning Uhle weisen auf die drohende „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte“ hin, die Webseiten-Betreibern aufgeben würde, bestimmte Kommentare innerhalb von einer Stunde zu löschen. Das ist für Blogger nicht zu leisten. Oder wie es beim Bloggerclub heißt: „Wie Bloggen immer heißer wird.“Ich will mich aber nicht mit diesen bürkratischen Anforderungen herumschlagen. Ich will einfach nur urheben. Wobei ich immer noch ein bisschen auf dem Wort herumkaue. Irgendwie fällt mir dabei immer eine Uhr ein, aber um die geht es natürlich gar nicht.
Ur ist die Vorsilbe für eine alte, lange vergangene Sache, ich denke dabei immer an den Urochsen, auch Auerochsen genannt, die bestimmt keine Ochsen waren, sonst wären sie schon in der ersten Generation ausgestorben. Oder ich denke an Urwald, was wildwüchsig klingt. Dann wäre da noch der Heber in Urheber. Schon klar, wir heben Schätze, gedankliche Schätze, und die Vorsilbe Ur steht hier sicher für noch nie Dagewesenes.
Urheben frisch geschöpft
Andererseits: Ist nicht jeder Buchstabe schon einmal geschrieben, jede Note schon einmal gespielt oder gesungen, jede Farbe schon einmal gemalt und jede Form schon einmal gegossen worden? Ja, sicher, aber nicht in der Kombination, die jeder neu urgehobenen Form eine neue Gestalt gibt. Übrigens: Ich habe hier gerade mal wieder geschöpft: das Verb urheben. Ich bin nicht die erste, die es verwendet hat. Aber ich fühle mich gerade so schöpferisch.