Buchsouvenir: Das edle Gesangbuch
Ich kann an schönen Büchern nur schwer vorbeigehen. Manchmal entdeckt man auf Flohmärkten Raritäten, die einem sonst nicht in die Hände fallen. Eine davon ist ein Gesangbuch von 1930, das so wunderschön ist, dass ich es kaufen musste. Obwohl es heute nicht mehr in Gebrauch ist und ich deshalb selbst als Kirchgängerin nichts damit anfangen kann.
Was mich vor allem begeistert, ist die wunderbare Machart des Gesangbuchs. Es kommt aus einer Zeit, als Bücher nicht an jeder Ecke erhältlich und für viele Menschen sicherlich nur schwer erschwinglich waren. Umso deutlicher wird an der Machart des Buches, wie wichtig den Menschen ein edles Gesangbuch war, das sie als vermutlich regelmäßige Kirchgänger jeden Sonntag mit in die Kirche nahmen. Wer so eifrig am Gottesdienst teilnimmt, will sicher nicht auf Dauer auf die dort ausgelegten Gesangbücher zurückgreifen müssen. Es könnte aber auch sein, dass das Buch ein Konfirmationsgeschenk war.
In Leder gebunden und im Schuber geschützt
Geschützt wird es von einem schwarzen Schuber aus geprägtem Karton. In dem steckt das ebenfalls schwarze ledergebundene Gesangbuch, dessen Buchrücken mit einem schönen goldenen Muster geprägt ist. Außerdem ist es im Goldschnitt gebunden. Fachmännisch heißt das Schnittveredelung. Die ist bei meinem Gesangbuch, dem Schuber sei dank, noch intakt und glänzt wunderbar. Zur Ausstattung gehört zudem ein gelbes Lesebändchen, farblich passend zum Goldschnitt. Sein ausgefranstes Ende beweist, dass das Büchlein eifrig genutzt wurde.
Das Buch selbst ist im Dünndruck gefertigt. Das superdünne Papier wird auch Bibeldruckpapier oder Bibelpapier genannt. Das Umblättern der dünnen Seiten ist nicht ganz einfach, oft erwischt man zwei, während man nur eine umschlagen möchte. Geübte Kirchgänger studieren rechtzeitig die Liedertafeln und legen schon mal das Leseband an die richtige Stelle, sodass sie bereit sind, während der Organist noch das Vorspiel intoniert. Die modernen Gesangbücher haben sogar zwei Lesebändchen, für perfekte Vorbereitung.
Ein Gesangbuch voller bekannter Lieder
Kirchenlieder sind zumeist Klassiker, auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten einige beliebte neue Lieder hinzugekommen sind. Wären die zu den heutigen Gesangbüchern unterschiedlichen Nummern nicht, ließe sich mein Prachtexemplar von 1930 immer noch nutzen. Die Klassiker sind alle darin, ob „Lobe den Herren“, „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ oder die bekannten Weihnachtslieder. Im Anhang, der die Liederdichter und die Komponisten aufführt, sind alle Größen der Kirchenmusik zu finden: Luther natürlich und Paul Gerhardt, beide ganz Große der Kirchendichtung. Bei den Komponisten ist natürlich Bach dabei, Schütz, Schein, aber auch Lieder ohne Komponisten, etwa aus der Herrnhuter Gemeine.
Wer das schöne Buch erschaffen hat
Ganz hinten im Gesangbuch, auf den beiden allerletzten Seiten, finden sich dann noch interessante Angaben. Das Gesangbuch wurde 1930 eingeführt, die Urheber sind, auch das ist vermerkt, „zur Eintragung in die Eintragsrolle zu Leipzig nach dem Urheberrechts-Gesetz vom 19. Juli 1901 (R.-G.-Bl. G 227) angemeldet“. Diejenigen, die das edle Gesangbuch gestaltet haben, werden dann noch ganz hinten aufgeführt. Buchgestaltung: Johannes Schulz, Landeskunstschule Hamburg. Satz, Materung, Druck und Verlag: H. H. Nölke G. m b. H., Bordesholm. Schrift: Werther-Fraktur der Schriftgießerei Genzsch & Heyse Hamburg-München. Einbandentwürfe: Josua L. Gampp-Bergedorf/ Bruno Harberg, Hamburg, Erwin Brubeck, Hamburg, Prof. Theodor Riebicke, Kiel. Einbandherstellung: Gesangbuchbinderei von Wilh. Rabe, M. Gladbach.
Ich vermute, alle, die so viel Arbeit und Kreativität in das Buch gesteckt haben, sind den meisten Kirchgängern unbekannt geblieben. Der Gottesdienst muss schon sehr langweilig sein, um diese Angaben ganz hinten im Gesangbuch zu lesen.