Denkmal für Roald Amundsen in Ny Alesund auf Spitzbergen
Pyropro,  sinniert

Tote Helden sind die besseren Helden

Heute jährt sich zum 100. Mal die Großtat von Roald Amundsen (16. Juli 1872 – vermutlich 18. Juni 1928). Der Norweger erreichte in einem Wettlauf mit Robert Falcon Scott (6. Juni 1868 – 29. März 1912) als erster den geografischen Südpol. Die Geschichte ist seit 100 Jahren bekannt. Auch, dass der tote Scott postum den Sieger Amundsen ausstach. Und doch ist diese Geschichte wie so viele, deren Ausgang jeder kennt, immer wieder spannend und bewegend.

Eine sehenswerte ZDF-Dokumentation „Wettlauf zum Südpol: Duell im ewigen Eis“ von gestern Abend dokumentiert eindrucksvoll die Leistung und die Leiden der beiden Expeditionsteams und erliegt dabei ebenfalls dem Scott-Effekt. Auch seine Geschichte, die des Verlierers, nimmt viel mehr Raum in Anspruch als die des Siegers. Kein Wunder, liegt im Scheitern doch eine seltsame Faszination, zumal wenn das Scheitern mit dem Leben bezahlt werden muss. Das macht auch die Geschichte von Toni Kurz (13. Januar 1913 – 22. Juli 1936) so anrührend. Der Bergsteiger starb, an einem Seil über dem Abgrund hängend, in der Eiger-Nordwand, an dessen Erstbesteigung er scheiterte. Der Film „Nordwand“ hat dieses Drama in bewegende Bilder gegossen. Und auch der große Erfolg der Titanic-Geschichten hat mit deren tödlichem Ausgang zu tun.

Was fasziniert uns so an diesen tragischen Geschichten? Ist es das Wissen um das finale Drama? Wir sitzen warm und weich zu Hause auf dem Sofa und sehen, wie andere übermenschliche Leistungen vollbringen. Ohne Heizung wäre es natürlich viel realistischer. Ich erinnere mich an einen Kinonachmittag in meiner kleinen Heimatstadt, als ich das erste Mal „Doktor Schiwago“ sah. Im Kino war die Heizung ausgefallen, es war bitterkalt. Und auf der Leinwand stemmte sich ein erschöpfter Omar Sharif in der Titelrolle gegen den eisigen Wind der Taiga. Der Kälte im Kino hätte es jedoch nicht bedurft, um diese Bilder spannend und atemberaubend zu finden.

Sind tote Helden für Literatur, Film und Fernsehen also besser als überlebende Helden? Offenbar. Was mich an diesen Geschichten fasziniert, weiß ich. Ich versuche nachzufühlen, was diese Menschen in ihrer aussichtslosen Lage bewegt, Wann ist der Punkt gekommen, an dem sie wissen, dass es nicht weiter geht, dass sie ihr Abenteuer mit dem Leben bezahlen müssen? Wann geben sie es auf, sich gegen ihr Schicksal zu stemmen. Das macht auch die Faszination von Scotts Geschichte aus: Sein Tagebuch gibt beredt Aufschluss über die Leiden des Teams und über die Gefühle Scotts. Dass diese Aufzeichnungen gefunden wurde, gehört zu den Wundern, die diese Geschichte so einzigartig machen. Wären die Aufzeichnungen verschollen geblieben, wäre es Scott wohl so wie Amundsen gegangen.

Denn auch der starb im ewigen Eis. Darin liegt eine ganz andere Tragik. Erst raubt ihm der tote Scott den größten Ruhm und die Hochachtung und dann bleibt Amundsens Tod im Eis ein ewiges Rätsel. 1928 bricht er mit einem Flugboot von Ny Alesund auf Spitzbergen aus auf, um seinen Freund, den mit einem Luftschiff abgestürzten Italiener Umberto Nobile, zu retten. Seitdem ist Amundsen verschollen, ebenso wie sein Flugzeug. Und mit ihm mögliche Aufzeichnungen über die letzten Tage des großen Entdeckers. Ein Denkmal erinnert heute auf Ny Alesund an Amundsens letzte Reise (Foto oben).

Scott und Amundsen – beide starben im ewigen Eis, der eine in der Antarktis, der andere in der Arktis. Doch nur einer wurde durch seinen Tod berühmt.

Dazu eine Leseempfehlung von meinem Twitter-Freund @rheumatologe: Roald Amundsen: Die Eroberung des Südpols. J.F. Lehmann, München 1912

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

Ein Kommentar

  • Richard

    Das war da sicher ein spannender Wettlauf zum Südpol, wie du ja auch selbst schreibst. Jeder wollte der erste sein, nur einer konnte es schaffen. Spielten vielleicht auch die vier Jährchen, die er weniger auf dem Buckel hatten, eine Rolle? Jedenfalls hätte ich da gar nicht daran gedacht, hättest du nicht durch deinen Blogpost erinnert. ;-)

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