Gezieret, schimpfieret und gehenket

Heute ist Karfreitag, der höchste Feiertag der Christen. Das Wort leitet sich von „Kara“ ab, dem mittelhochdeutschen Wort für Klage oder Kummer. Der Kreuzestod Christi hat die Menschen über Jahrhunderte tief berührt und die Komponisten, allen voran Johann Sebastian Bach, zu innigen Chorälen motiviert. Musik, die ins Herz trifft. Aber es lohnt sich auch, die Texte näher zu betrachten. Auch wenn sie nicht mehr dem heutigen Sprachgebrauch entsprechen und teilweise gar grammatikalisch falsch klingen, sind sie von seltener Wucht und Ausdruckskraft.

Einer der bekanntesten Karfreitagschörale ist der Bach-Choral „O Haupt voll Blut und Sünden“ aus der Matthäus-Passion.

„This is one of the most beautiful piece of music that had ever been produced. It is trully a music from the heart,though not as glorious,yet, far better than Handel’s „Hallelujah“, schreibt ein User auf Youtube. Es lohnt sich aber auch, sich den Text von Paul Gerhardt (1607–1676) aus dem Jahr 1656 genauer anzusehen.

O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zum Spott gebunden
Mit einer Dornenkron’,
O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr’ und Zier,
Jetzt aber höchst schimpfieret;
Gegrüßet sei’st du mir!

Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit!
Wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht’t?

Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht
Ist hin und ganz vergangen;
Des blaßen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.

Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet,
Was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer,
Der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad’!

Erkenne mich, mein Hüter,
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell’ aller Güter,
Ist mir viel Gut’s getan.
Dein Mund hat mich gelabet
Mit Mich und süßer Kost;
Dein Geist hat mich begabet
Mit mancher Himmelslust.

Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wenn dir dein Herze bricht;
Wenn dein Haupt wird erblaßen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich faßen
In meinem Arm und Schoß.

Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht’ ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!

Ich danke dir von Herzen,
O Jesu, liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du’s so gut gemeint.
Ach gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu’
Und, wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei!

Wann ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir,
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür;
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein!

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod,
Und laß mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot!
Da will ich nacht dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Abgesehen davon, dass sich Wörter wie „schimpfieret“ heute wegen ihrer altertümlichen Form ins Gedächtnis eingraben, hat Paul Gerhardt, der große Kirchenlied-Dichter, „des blaßen Todes Macht“ und ihre Auswirkungen auf Körper eindringlich beschrieben. Gerhardt verbrachte einen großen Teil seines Lebens im 30-jährigen Krieg, er hat viel Leid, Tod und Trauer gesehen. Dennoch sind seine Texte geprägt von tiefem Gottvertrauen. Seine Sprache ist direkt, zupackend, und ich finde es schade, dass es Paul-Gerhardt-Texte nur unter Noten, also als Lieder, gibt. Er wäre es wert, dass seine Texte in einem Gedichtband erscheinen, zum Nachlesen.

Ein anderer Choral aus der Matthäus-Passion von Bach ist in Musik und Text ähnlich wuchtig ausgelegt. „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen?“

Der Text stammt von dem Theologen Johann Heermann (1585–1647), der ebenfalls im 30-jährigen Krieg lebte. Eine ausführliche Beschreibung des Chorals gibt es im Liederlexikon.de

Ich finde vor allem diesen Vers besonders eindrucksvoll.

Du wirst gegeißelt und mit Dorn gekrönet,
ins Angesicht geschlagen und verhöhnet,
du wirst mit Essig und mit Gall getränket,
ans Kreuz gehenket.

Was für eine großartige Sprache.

Das gilt auch für den dritten Bach-Choral, „Jesu, deine Passion“.

1. Jesu, deine Passion
will ich jetzt bedenken;
wollest mir vom Himmelsthron
Geist und Andacht schenken.
In dem Bilde jetzt erschein,
Jesu, meinem Herzen,
wie du, unser Heil zu sein,
littest alle Schmerzen.

2. Meine Seele sehen mach
deine Angst und Bande,
deine Schläge, deine Schmach,
deine Kreuzesschande,
deine Geißel, Dornenkron,
Speer- und Nägelwunden,
deinen Tod, o Gottessohn,
der mich dir verbunden.

3. Aber lass mich nicht allein
deine Marter sehen,
lass mich auch die Ursach dein
und die Frucht verstehen.
Ach die Ursach war auch ich,
ich und meine Sünde:
diese hat gemartert dich,
dass ich Gnade finde.

4. Gib auch, Jesu, dass ich gern
dir das Kreuz nachtrage,
dass ich Demut von dir lern
und Geduld in Plage,
dass ich Lieb um Lieb dir geb,
dass ich Lob dir singe,
bis ich dorthin bei dir leb,
bessern Dank dir bringe.

Auch der Autor dieses Textes, Siegmund von Birken (1626 – 1681), hat seine Wurzeln in derselben Zeit wie Gerhardt und Heermann. Liegt es daran, dass diese Männer in einer kriegerischen Zeit voller Leid gelebt haben, dass sie solche innigen Texte geschrieben haben? Oder ist es die Frömmigkeit der Zeit, die sie dazu bewegt hat? Vielleicht sind es aber nur solche qualitativ hochwertigen Texte, die große Komponisten wie Johann Sebastian Bach und andere vertont und die die Jahrhunderte überdauert haben.

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass diese Lieder eindrucksvoll wie kaum etwas anderes den Karfreitag und seine Bedeutung verdeutlichen. Im Kontext eines Gottesdienstes oder einer Andacht zur Todesstunde Jesu berühren sie die Menschen bis heute.

2 Kommentare

  1. O Haupt voll Blut und Wunden haben wir gestern in der Kirche auch gesungen. Ja, die Worte und die Musik sind unglaublich ausdrucksstark. Eines der berührendsten Werke ist für mich persönlich Stabat Mater von Antonín Dvořák….

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