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Der Jammerlappen schlägt zurück

Nun ist es aber langsam mal gut: Ich habe keine Lust mehr, mich als gestrig, unbeweglich, zu alt für etwas Neues diffamieren zu lassen. Zugegeben, ich bin 52 Jahre alt und nicht mehr die Jüngste. Das heißt aber nicht, dass auch mein Kopf schon alt ist. Schließlich ist er seit Jahrzehnten bestens darauf trainiert, sich mit immer neuen Techniken und Medien auseinander zu setzen. Aber das glaubt mir offenbar niemand.

Was mich jetzt zu diesem Aufschrei veranlasst hat, ist ein Text von Tim Wessling: Die Jammerlappen.  Ein Text, den ich gut geschrieben, aber in der Sache zu herablassend und auch nicht zutreffend finde. Natürlich gibt es Journalisten, die sich in den von Wessling beschriebenen Jammer-Kokon eingesponnen haben. Aber genauso gibt es welche, die nicht mal wissen, was das sein soll.

Ein Satz wie dieser stößt mir besonders sauer auf:

Verständlich, dass ein 60-jähriger Lokalreporter in seinen letzten Berufsjahren keine Lust mehr auf dieses Internet hat.

Ich bin zwar noch nicht 60, aber seit mittlerweile 33 Jahren – mit wenigen Unterbrechungen in Mantelressorts – einer dieser Lokalreporter. Einer von denen, denen man nachsagt, seit Jahrzehnten im selben Stil zu arbeiten, nicht bereit zu sein, sich auf Neues einzulassen und Internet und Social Media und Videos – igitt, das auch noch – zu verteufeln. Aber so bin ich nicht. Ich habe immer noch Lust auf Neues, sonst hätte ich wohl kaum einen Beruf ergriffen, der täglich, manchmal sogar stündlich Neues bringt.
33 Jahre Printjournalismus, das heißt nicht nur 33 Jahre ständig neue Themen, in die man sich einarbeiten muss. Das heißt auch, dass es alle paar Jahre eine Technikrevolution gegeben hat. Als ich mit diesem Beruf begann, gab es noch vereinzelt Bleisatz. Es folgte der Lichtsatz mit Klebeumbruch, bei dem es unter Todesstrafe verboten war, dass Redakteure mit Wachser, Skalpell und Typometer hantierten. Um ihren Job fürchtende Metteure hätten ohne Zögern mit eben jenem Skalpell zugestochen, hätte sich ein Redakteur zu weit dem Leuchttisch genähert. Leuchttisch? Kennt heute kein Mensch mehr. Mit dem Lichtsatz kamen die ersten PC-gestützten Redaktionssystem, damals noch wahlweise mit oranger oder grüner Schrift auf schwarzem Grund.
Die zweite Revolution für den Lokalredakteur kam mit der digitalen Fototechnik Ende der 90er Jahre. Alles neu, nichts mehr wie zuvor.
Die dritte Revolution brachte das Internet. Darüber ist hinlänglich geschrieben worden, das muss ich hier nicht alle wiederholen.
Alle drei technischen Revolutionen habe ich mitgemacht, und es war für mich nicht nur schmerzlos, sondern hat sogar Spaß gemacht. Es hat die Arbeit ungemein erleichtert, dass ich für die richtige Schreibweise von Strawinsky nicht mehr wie früher den Brockhaus bemühen muss, sondern Herrn Google fragen kann. Und es ist toll, Großbrände und ähnliche Katastrophen nicht mehr in körnigen Schwarzweißfotos, sondern in Farbe und sogar in bewegten Bildern festhalten und vom Brandort aus an die Leser bringen zu können.

Die Wesen, die Tim Wessling beschreibt, kenne ich auch, aber sie sind seltener, als er denkt:

Ich mache mir nur Sorgen um viele Redakteure, die ihr Leben lang nichts anderes als Zeitung gemacht haben und es nicht für nötig hielten, sich mit Kameras, Internet und Blogs auseinander zu setzen. Die haben jetzt ein Problem. Gut. Das ist die ältere Generation, mag man meinen. Journalisten, die in den 70er, 80er und 90ern schon mit dabei waren. Solche, die mit der Rückendeckung einer Millionenauflage schon um zwei Uhr Feierabend machen konnten.

Lieber Tim Wessling, schön, dass Du Dir um uns ältere Journalisten Sorgen machst. Musst Du aber nicht. Nur weil wir älter sind, sind wir nicht weniger bereit, uns mit diesem Internet und allen seinen Folgen auseinander zu setzen – und es mit Begeisterung zu nutzen. Ich liebe mein Smartphone und finde Kommunikation immer und überall hinreißend. Natürlich gibt es Journalisten, die sich dagegen sperren, aber das hat nichts mit dem Alter zu tun. Schreibst Du ja selbst.

Übrigens: Um zwei Uhr habe ich noch nie Feierabend gemacht, höchstens um zwei Uhr morgens.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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