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Der Ohrwurm Kikeriki

Ich habe einen Ohrwurm. Die kann man nicht nur von Liedern bekommen, sondern auch von Gedichten. Ich weiß nicht warum, aber gerade kam mir wieder ein Kindergedicht in den Kopf, an das ich lange nicht mehr gedacht hatte. Und es ging nicht wieder weg, sondern wand sich wie ein Ohrwurm immer wieder durch mein Gehirn. Es ist das Gedicht vom Schneider Kiriki.

Der Schneider Kikeriki in Westermanns Kinderbuch von 1951. Der Autor ist unbekannt.

Auf dem Berge Sinai

Auf dem Berge Sinai
wohnt der Schneider Kikeriki,
seine Frau, die Margarete,
saß auf dem Balkon und nähte,
fiel‘ herab, fiel herab,
und das linke Bein war ab.
Kam der Doktor angerannt,
mit der Nadel in der Hand,
näht es an, näht es an,
dass sie wieder laufen kann.

Das Gedicht kenne ich aus einem Sammelband aus Gedichten, Liedern und Geschichten, der mich meine ganze Kindheit lang begleitet hat: Westermanns Kinderbuch, Ausgabe von 1951, prall gefüllt voller wunderbarer kleinerer und größerer Texte und illustriert mit ungewöhnlichen Zeichnungen mit jeweils einer anderen blassen Farbe. Das Buch ist gegliedert in Kapitel wie „In Mutters Stübele“ oder „Tra-Ri-Ra, der Sommer der ist da“.

Was mich als Kind fasziniert hat, war nicht nur der ungemein reiche Schatz an Texten in diesem Sammelband. Sondern auch die Zeichnungen. Von Grimmschen Märchen über beliebte Kindergedichte aller Zeiten wie „Ein Männlein steht im Walde“ bis hin zu Abzähl- und Schüttelreimen enthält Westermanns Kinderbuch so ziemlich alles, was einem nur einfallen kann. Die Herausgeber, der Verlag Georg Westermann Braunschweig, versteht das Buch als „geistiges Kinderzimmer“, eher sogar als Haus mit Räumen für Kinderliteratur jeder Art. Ausgesucht und zusammengetragen haben sie Käthe und Hermann Boekhoff. Die ungewöhnlichen Zeichnungen stammen von Karl Voss.

Da wir vier Kinder zu Hause waren und Oma und Opa ihre Enkelkinder gerne zu Besuch haben, rücken sie an keinen von uns ihr Westermanns Kinderbuch heraus. Ich habe es lange in Antiquariaten gesucht. Erst vor wenigen Jahren habe ich es bei Ebay gefunden – ein absoluter Glücksfall. Es gibt auch noch jüngere Ausgaben, die weit in die 60er-Jahre und 70er-Jahre hineinreichen, aber ich wollte das Original und habe es schließlich gefunden. Spätere Ausgaben gibt es noch zuhauf, aber sie sind lange nicht so schön illustriert und eben nicht die, die ich kannte. Das Original von 1951 habe ich soeben im Netz in einem Antiquariat gefunden – für ganze 65 Euro.

Unser Exemplar wird heute von meiner Tochter genauso geliebt wie ich es als Kind geliebt habe. Das Buch wird deshalb gehütet wie ein Augapfel. Auf dass meine Enkel, Urenkel, Ururenkel noch etwas davon haben.

Susanne Peyronnet *1960 Wurzeln in Niedersachsen Leben in Schleswig-Holstein Redakteurin seit 1981 Hobbys: Reisen, Lesen, Reiten Musik: Klassik, Klassik, Klassik (Ausnahme Kammermusik) Länder: Deutschland, Frankreich

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